Nach den Erdbeben wirft ein Geologe Erdogan Versagen vor. Er habe es – auch wegen der Korruption – verpasst, das Land erdbebensicher zu machen.
Erdogan
Recep Tayyip Erdogan bei seinem Besuch im Katastrophengebiet nach den verheerenden Erdbeben. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Nach den schweren Erdbeben werden Vorwürfe an Erdogan laut.
  • Der Präsident habe die Gesetze zur erdbebensicheren Bauweise nicht umgesetzt.
  • Erdogans Krisenmanagement könnte einen grossen Einfluss auf die Wahlen im Mai haben.
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Über 20'000 Personen sind bei den schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien gestorben. Schätzungen des Geophysikalischen Instituts am Karlsruher Institut für Technologie zufolge könnte sich diese Zahl noch verdreifachen. Damit dürften sie zu den 20 tödlichsten Erdbeben seit 1900 gehören. Angesichts des enormen Ausmasses wird Kritik am türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan und seiner Regierung laut.

Der türkische Geologe Celal Sengör wird gegenüber der «Bild» sehr deutlich: «Erdogan hat total versagt. Er hat fast alles falsch gemacht.»

Türkei
Die Erdbeben in der Türkei und Syrien haben grosse Schäden angerichtet und über 47'000 Menschen das Leben gekostet. - Keystone

Denn dass die Türkei gefährdet sei, wisse man schon lange, beim letzten grossen Erdbeben 1999 gab es offiziell 18'000 Tote. Sengör glaubt, dass die tatsächliche Todeszahl eher bei 30'000 gelegen habe. Doch Erdogan habe seither fast nichts getan, um das Land besser auf Erdbeben vorzubereiten. Von 2003 bis 2014 war er Ministerpräsident, seither Staatspräsident.

Laut Geologe Sengör hat der Präsident in drei Bereichen versagt: Jahrelang habe er zwar Gesetzte erarbeiten lassen, damit Häuser erdbebensicher gebaut würden. «Doch als sie in Kraft waren, tat er so gut wie nichts, dass man sie auch einhält.»

Zudem kritisiert er die Korruption im Staatsapparat, die unter Erdogan massiv zugenommen habe. «Ein Grossteil des Geldes, dass der Staat für Massnahmen zum Erdbebenschutz einsetzte, wanderte in die Taschen irgendwelcher Staatsbediensteter.»

Zudem würde der Präsident keine Kritik zulassen, kritische Staatsbedienstete versetzen oder entlassen. «Selbst Bürger, die ihn nach dem Erdbeben kritisierten, verunglimpfte er als ‹ehrlose Bürger›», so Sengör.

Geologe befürchtet baldiges Erdbeben in Istanbul

Wegen der tektonischen Lage erwartet Geologe Sengör ein ähnliches Erdbeben in Istanbul in den nächsten 30 Jahren. Die Folgen davon würden «schrecklich» sein, er rechnet mit 50'000 bis 100'000 Toten in der 15-Millionen-Stadt. Rund 60 Prozent der Häuser in der Metropole seien illegal gebaut, 8000 davon würden beim Erdbeben komplett zerstört.

Sengör fordert, dass der Staat endlich durchsetzt, dass Häuser erdbebensicher gebaut würden – «auch wenn das teuer ist». Zudem rät er den Bewohnern Istanbuls, aus der Stadt wegzuziehen. Er selbst tue das aber nicht, er lebe in einem Haus, dass erdbebensicher sei.

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Ob eine Mehrheit der Türkinnen und Türken die Einschätzung von Sengör zu Präsident Erdogan teilt, dürfte sich im Mai zeigen. Dann sollen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden. Ob sie aber tatsächlich durchgeführt werden, scheint unklar. Ein Regierungsvertreter sagte, es sei wirklich zu früh, um darüber zu sprechen.

Die Beliebtheit von Recep Tayyip Erdogan litt zuletzt wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten sehr. Experten sehen deshalb sein Krisenmanagement nach den Erdbeben als entscheidend für seine Wahlchance.

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