In Zeiten von Corona und hohen Energiepreisen steigen viele Menschen aufs Rad um oder haben es zumindest vor. Doch die Fachhändler haben zurzeit wenig Grund zur Freude.
Vielen Fahrradhändlern fehlt der Nachschub. Noch immer verursacht Corona einige Lieferengpässe.
Vielen Fahrradhändlern fehlt der Nachschub. Noch immer verursacht Corona einige Lieferengpässe. - Philipp Brandstädter/dpa
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Überall an den Wänden des Saarbrücker Fahrradladens im Nauwieser Viertel fallen die kleinen Holzkeile auf.

«Die sind normalerweise für die Räder gedacht», sagt Geschäftsführerin Ingrid Sehmer.

Aber normal ist derzeit nichts - auch nicht die Lücken zwischen den rund 20 Rädern, die noch im Geschäft stehen. Üblicherweise seien zwischen 60 und 80 Stück auf Lager.

Produktionen in Asien weiter eingeschrenkt

«Die Lieferengpässe werden immer dramatischer», sagt Sehmer. Was ihrer Ansicht nach vor allem aber nicht nur an Corona liegt. «Es sind viele Faktoren, die zusammenkommen», meint die 59-Jährige. So seien die Produktionen in Asien in der Hochphase der Pandemie heruntergefahren worden und liefen noch nicht wieder auf 100 Prozent. Auch dass der Frachter «Ever Given» lange den Suezkanal blockierte, habe Auswirkungen gehabt.

Zudem würden immer wieder Werke geschlossen, in denen es neue Corona-Ausbrüche gebe. Und wegen der Null-Covid-Politik in China seien viele Häfen gesperrt. «Das heisst: Da liegen Frachter im Hafen, die nicht auslaufen können, mit Sachen, die die Fahrradindustrie dringend braucht.» Hinzu komme die Rohstoffknappheit, die sich auf die Produktion von Motoren und Akkus für E-Bikes auswirke. «Es gibt nicht die eine Ursache für die Lieferprobleme», sagt die Geschäftsführerin. «Es fing mit Corona an, und es hängt ein ewig langer Rattenschwanz hintendran.»

Noch viele Lieferungen offen

Michael Bachmann von «Michas Rad-Atelier» in Koblenz berichtet, dass sein Umsatz beim Verkauf von Neurädern im vergangenen Jahr um rund 40 Prozent gegenüber 2020 eingebrochen sei. «2021 war der erste grosse Break, und dieses Jahr wird es extrem sein», befürchtet er. Von den 123 Rädern, die er für diese Saison bestellt habe, seien noch 97 Lieferungen offen. Und ständig würden die Termine weiter geschoben.

Im Geschäft von Ingrid Sehmer dauert es üblicherweise sechs bis acht Wochen, bis Räder eintreffen, sobald sie bestellt wurden. Doch inzwischen nennen manche Hersteller in ihren Auftragsbestätigungen gar keinen Liefertermin mehr. «Jetzt können wir noch nicht mal sagen, kommen sie in fünf, sechs oder acht Monaten.»

Begrenzte Auswahl an Rädern und Ersatzteilen

Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass die Auswahl an neuen Rädern und das Angebot an Ersatzteilen begrenzt sind. Sehmers Sohn Corbinian, der seit zwei Jahren mit ihr Geschäftsführer ist, berichtet von Kunden, die in den Laden kommen und als erstes «die Standardfragen» stellten: «Habt ihr was? Kann ich was bestellen?»

Bei den Händlern ist nun Flexibilität gefragt. «Wenn man ein paar Jahre in einem Unternehmen ist und in eine Führungsrolle kommt, hat man gewisse Ideen, die man angehen will», sagt der 32-Jährige, der seit zwei Jahren Geschäftsführer ist. «Aber ich war von Anfang an im Krisenmodus und hatte plötzlich mit Dingen zu tun, die vorher noch nie ein Thema waren.» Auch dass er selbst den ganzen Tag in der Werkstatt stehe, um Personallücken zu schliessen, sei nicht geplant gewesen.

Trotz allem seien die Lagerflächen mit Ersatzteilen noch ganz gut gefüllt, so dass der Betrieb aufrechterhalten werden kann. Zwar gelte das Motto: «Wir nehmen, was wir kriegen können.» Doch das Lagern habe auch seine Grenzen. «Wir haben ein gutes Mittel gefunden, um bei den Lieferanten nicht Bestände wegzukaufen, die jemand anders vielleicht auch gebrauchen könnte. Sonst haben wir das gleiche Problem wie mit dem Rapsöl», sagt Corbinian Sehmer. Mit den meisten Händlern, so seine Mutter, habe man ein so gutes Verhältnis, dass man sich auch in diesen Krisenzeiten gegenseitig aushelfe.

Fahrradboom wird ausgebremst

Der Vorstandssprecher des Allgemeinen Deutschen-Fahrradclubs ADFC im Saarland, Thomas Fläschner, betrachtet es als «dumme Sache», dass viele Läden ausgerechnet jetzt leer seien: In Zeiten, in denen so manche Bürger wegen Corona und nun auch der enorm gestiegenen Preise an den Tanksäulen aufs Rad umstiegen. «Da wird der mögliche Fahrradboom etwas ausgebremst», bedauert er.

Immerhin, so Sara Tsudome, Geschäftsführerin des ADFC Rheinland-Pfalz, besässen die Deutschen über 81 Millionen Räder. «Es ist also nicht so, dass es einen Fahrradmangel gibt.» Wobei es die Frage sei, ob alle diese Räder wirklich fahrtüchtig seien. Sie rate den Besitzern, sich in einem Fachgeschäft beraten zu lassen, wie man ein altes Rad «wieder flott kriegt» - bevor ein neues Rad der Wahl geliefert werden könne.

Neue Fahrradteile rechtzeitig bestellen

Fläschner empfiehlt Radfahrern, «pfleglicher» mit ihren Gefährten umzugehen und vorausschauend zu denken. «Wenn ich weiss, dass ich nur noch eine begrenzte Zeit mit der Kette fahren kann, sollte ich jetzt schon eine neue bestellen, bevor sie kaputt ist.» Er glaubt jedoch, dass der positive Effekt, mehr Rad zu fahren, anhält. «Je mehr Leute aufs Fahrrad umsteigen, umso mehr Druck entsteht auch auf die Politik, dass sich die Bedingungen ändern und Wege verbessern.» Und umso sicherer werde es auch auf den Strassen.

Der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) erwartet auch für die nächsten Jahre eine hohe Nachfrage. Ingrid Sehmer ist jedoch skeptisch, ob man die Geschäfte, die nun verloren gehen, irgendwann wieder aufholen kann. Hinzu komme der Fachkräftemangel, der auch in dieser Branche ein grosses Problem sei.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

VerkaufMutterCoronavirus