Das junge Kino erteilt der klassischen Traumfabrik in Locarno eine Absage. Deutsche Filmemacher überraschen dabei mit stilistischer Vielfalt und inhaltlichem Gewicht.
Locarno steht dieser Tage ganz im Zeichen des Films. Foto: Urs Flueeler/Keystone
Locarno steht dieser Tage ganz im Zeichen des Films. Foto: Urs Flueeler/Keystone - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

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Internationalen Filmfestival im Schweizer Locarno trumpft das deutsche Kino auf. Die Firma Komplizen Film erhielt bereits zu Beginn den Premio Raimondo Rezzonico, eine der weltweit wichtigsten Ehrungen für Filmproduzenten.

Bekannt wurde die Firma 2016 mit «Toni Erdmann» von Autorin-Regisseurin Maren Ade. Sie gehört zu den Gründern von Komplizen Film und nahm die Auszeichnung mit dem übrigen Leitungsteam auf der Piazza Grande des malerischen Ortes entgegen.

Komplizen Film punktete daneben auch schon im diesjährigen Wettbewerb, in dem 17 Spiel- und Dokumentarfilme aus aller Welt um den Hauptpreis des Festivals, den Goldenen Leoparden, konkurrieren: Der von der Produktionsfirma mitfinanzierte brasilianisch-französisch-deutsche Spielfilm «A Febbre» («Fieber») entwirft in suggestiven Bildern das Porträt eines indigenen Arbeiters in Brasilien zwischen Anpassung und Aufbegehren. Gesellschaftskritik und Spannung sind klug ausbalanciert. Der Film dürfte Chancen bei der Jury haben.

Beifall bekam ebenso «Das freiwillige Jahr» der deutschen Regisseure Ulrich Köhler («Schlafkrankheit») und Henner Winckler («Lucy»). In ihrem atmosphärisch dichten Spielfilm beleuchten sie ein Vater-Tochter-Drama: Der alleinerziehende Arzt Urs (Sebastian Rudolph) möchte, dass seine Tochter Jette (Maj-Britt Klenke) für ein Jahr ins Ausland geht. Doch die junge Frau weiss nicht, ob sie das wirklich will. Der daraus resultierende Konflikt spiegelt scharf heutige soziale Spannungsfelder. Auch dieser Film ist preiswürdig.

Der deutsche Regisseur Patrick Vollrath zeigte sein Spielfilmdebüt «7500» mit Hollywood-Star Joseph Gordon-Levitt («Snowden») in der Hauptrolle. Der Thriller um einen Terroranschlag auf einem Linienflug von Berlin nach Paris fesselt mit nervenzerrender Spannung, psychologischer Raffinesse und kritischen Fragen an die bürgerliche Gesellschaft. Vorgestellt ausser Konkurrenz im Rahmen der Festival-Freiluftaufführungen für bis zu 8000 Zuschauer, hat der Film eine Chance auf den begehrten Publikumspreis.

Über 8000 Zuschauer lockte am Samstagabend die Freiluft-Aufführung des am Donnerstag (15. August) in Deutschland anlaufenden nostalgischen Kino-Gruselmärchens «Once Upon a Time in Hollywood» von US-Kultregisseur Quentin Tarantino («Pulp Fiction») mit Brad Pitt und Leonardo DiCaprio in den Hauptrollen auf die Piazza Grande des Touristenzentrums im Schweizer Kanton Tessin. Ähnlich wie schon die internationale Kritik, reagierte das Publikum gespalten. Viele klatschten begeistert. Viele andere aber rührten ihre Hände nicht.

Die deutsch-österreichische Ko-Produktion «Space Dogs» kann auf eine Auszeichnung in der Nachwuchs-Sektion «Cineasti del presente» («Filmemacher der Gegenwart») hoffen. Das Regie-Duo Elsa Kremser und Levin Peter folgt in dem filmischen Essay formal sehr originell den Spuren der Hündin Laika. Sie wurde 1957 von den Sowjets als erstes Lebewesen in den Weltraum geschickt. Bei der Rückkehr zur Erde umgekommen, streift Laika im Film als Geist durch das heutige Moskau. Dabei werden verblüffende Alltagsansichten offenbart.

Thematisch dominiert bisher im Festival das Thema Familie. Was selten im Privaten verharrt. Oft werden gesellschaftliche Zusammenhänge erhellt, etwa in Filmen aus Japan und Frankreich. Damit erteilt das in Locarno dominierende junge Kino der klassischen Traumfabrik eine deutliche Abfuhr.

Für Glamour am Lago Maggiore sorgte zum Wochenende Hollywood-Star Hilary Swank. Anlässlich der Auszeichnung mit einem Ehrenpreis des Festivals plädierte die zweifache Oscar-Preisträgerin in einem Publikumsgespräch vehement für ein anspruchsvolles Kino. Dazu sagte sie: «Die Filmkunst ist auch dazu da, unseren Blick auf die Wirklichkeit zu schärfen.» Die Jury in Locarno dürfte das als Auftrag verstehen. Sie gibt die Gewinner des Goldenen Leoparden und der anderen Preise am 17. August bekannt.

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