Darum ist Maddie-Brückner trotz Gefahr wieder draussen
Der Hauptverdächtige im Fall Maddie ist seit gestern Mittwoch auf freiem Fuss – obwohl Experten ihn als gefährlich einstufen. Warum es dazu gekommen ist.

Das Wichtigste in Kürze
- Christian Brückner, der Hauptverdächtige im Fall Maddie, ist frei.
- Er kann weder verwahrt, noch wegen Maddies Verschwinden verhaftet werden.
- Laut einem Experten könnte das Rückfallrisiko jedoch niedriger sein, als viele meinen.
Seit gestern, Mittwochmorgen, ist Christian Brückner, Verdächtiger im Fall Maddie McCann, wieder auf freiem Fuss. Der Deutsche sass seit 2019 eine Haftstrafe wegen der Vergewaltigung einer 72-jährigen US-Amerikanerin in Portugal ab.
Frei – obwohl der 48-Jährige im Zentrum der Ermittlungen in einem der berühmtesten Entführungsfälle Europas steht.
Seine Rolle als Maddie-Hauptverdächtiger ist jedoch nicht der einzige Grund, warum seine Entlassung für Staunen sorgt. Denn: Experten stufen ihn nach wie vor als gefährlich ein.
«Sehr gefährlicher Mann»
Der britische Polizist und Experte für Kindesentführung und Mord, Graham Hill, warnte in der «Times»: «Wir sollten sehr besorgt sein.» Brückner habe viele abweichende sexuelle Verhaltensweisen.
«Er ist ein sehr gefährlicher Mann» und «ein Risiko für erwachsene Frauen und Kinder beiderlei Geschlechts».
Auch ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Braunschweig sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP: «Aus unserer Sicht muss man davon ausgehen, dass Christian Brückner wieder rückfällig wird.»
Wie also ist es dazu gekommen, dass Brückner trotz all dem nun ein Leben in Freiheit führen kann?
Warum wird Brückner nicht verwahrt?
Aus bekannten Schweizer Kriminalfällen kennen wir das Konzept der Verwahrung. Täter, die nach dem Ende ihrer Haftstrafe in Gutachten weiterhin als gefährlich eingestuft werden, werden nicht entlassen.
Verwahrung
Diese Formen der Verwahrung können Gerichte in der Schweiz für schwere Straftäter beschliessen:
Lebenslange Verwahrung
Eine Person kommt lebenslang in Verwahrung und darf nur dann entlassen werden, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen: Diese Person kann doch behandelt werden – und ist danach keine Gefahr mehr für andere.
Ordentliche Verwahrung
Diese Verwahrung wird vom Gericht angeordnet, wenn jemand z. B. eine schwere psychische Störung hat und deshalb weiterhin gefährlich ist – auch nach der Haftstrafe. Die Person kommt in eine spezielle Einrichtung oder Strafanstalt. Einmal pro Jahr wird geprüft, ob sie noch verwahrt bleiben muss.
Kleine Verwahrung
Das ist eine vom Gericht angeordnete, therapeutische Behandlung in einer Klinik. Ziel: Die Person soll dort behandelt und nicht nur weggesperrt werden.
Der in Deutschland verurteilte Brückner wird jedoch nicht verwahrt. Das hat verschiedene Gründe:
Brückner sass für eine Straftat im Gefängnis, für die er 2019 verurteilt wurde. Der Vergewaltigung an einer damals 72-jährigen Frau im Jahr 2005 in Portugal. Diese Haftstrafe hat er nun abgesessen.

Dass er noch immer als gefährlich gilt, hat rückwirkend keine Auswirkungen auf das Urteil von damals.
Kriminologe Jörg Kinzig von der Universität Tübingen (D) erklärt gegenüber Nau.ch: «In Deutschland ist eine Sicherungsverwahrung nur durch das erkennende Strafgericht im Strafverfahren möglich.»
Will heissen: Das Strafgericht hätte für Brückner 2019 eine solche Verwahrung anordnen müssen, damit sie heute möglich wäre. Damals sah es keinen Grund dafür.
«In allen Anklagepunkten freigesprochen»
Zum Zeitpunkt des Urteils war er noch nicht als Hauptverdächtiger im Fall Maddie bekannt. Zu beachten ist laut Kinzig auch: «Im letzten Verfahren, in dem er vor Gericht stand, wurde er in allen Anklagepunkten freigesprochen.»

2024 endete ein Verfahren wegen drei Vergewaltigungen und zwei Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch in einem Freispruch.
Die Taten soll er zwischen 2000 und 2017 in Portugal begangen haben. Die Vorwürfe konnten nach Ansicht des Gerichts nicht zweifelsfrei bewiesen werden.
Ganz frei ist Maddie-Hauptverdächtiger nicht
Verwahrt werden kann Brückner also nicht. Doch warum entlässt Deutschland ihn in die Freiheit, wenn er doch Madeleine McCann entführt haben soll?
Die kurze Antwort: Zu wenig Beweise.
Kriminologe Kinzig erklärt: «Das vorhandene Belastungsmaterial» scheint nach Einschätzung der zuständigen Staatsanwaltschaft bisher «nicht für eine Anklageerhebung auszureichen».
«Jedoch ist Christian B. nach seiner Haftentlassung der sogenannten Führungsaufsicht unterworfen», gibt der Experte zu bedenken. «Diese will unter anderem einen gravierenden Rückfall verhindern.»
Ein völlig freier Mann ist Brückner also weiterhin nicht. Er trägt eine elektronische Fussfessel, musste seinen Pass abgeben und darf Deutschland nicht ohne Erlaubnis verlassen.

Für den Experten zeigt Brückners Freilassung darum auch nicht auf, dass die Gesetze in Deutschland zu lasch seien.
«Die Führungsaufsicht erlaubt die Auferlegung einer ganzen Reihe sogenannter Weisungen», sagt er.
Verletze Brückner diese Weisungen – beispielsweise, indem er unerlaubt ins Ausland reist – würde dies eine weitere Straftat darstellen.
Experte: Rückfallrisiko wohl geringer, als viele meinen
Kinzig sagt: «Richtig ist aber auch, dass man durch alle diese Massnahmen keine perfekte Sicherheit vor einem Rückfall herstellen kann.»
Das genaue Rückfallrisiko für den Maddie-Hauptverdächtigen sei für ihn zwar unmöglich zu bestimmen. «Aber es existiert in Deutschland eine Rückfallstatistik.»

Und die zeigt: Innerhalb von drei Jahren werden rund zehn Prozent der Täter, die ansatzweise vergleichbare Straftaten wie Brückner begingen, rückfällig.
Das Risiko «ist also deutlich geringer, als viele annehmen», sagt Kinzig. «Die Zahlen erfassen allerdings nur registrierte Rückfälle.» Eine gewisse Dunkelziffer ist also wahrscheinlich.
«Im Fall Christian B. könnte das Rückfallrisiko dadurch weiter gemindert sein, dass er eine Fussfessel tragen muss.» Zudem dürfte er über all die Massnahmen hinaus «intensiv auf dem Radar der Behörden sein».
Verteidiger beklagt «massive Vorverurteilungskampagne»
Das damals dreijährige britische Mädchen Madeleine McCann verschwand am 3. Mai 2007 aus einer Appartementanlage in Portugal.
Im Juni 2020 informierte die Staatsanwaltschaft Braunschweig überraschend darüber, dass sie vom Tod des Mädchens ausgehe und einen Verdächtigen habe: Christian Brückner.

Sein Verteidiger sprach mit Blick auf die Verdächtigungen öffentlich von einer «massiven Vorverurteilungskampagne». Es gibt keine Anklage und es gilt die Unschuldsvermutung.
Für die deutschen Ermittlungen zum Fall sind die Strafverfolger aus Niedersachsen zuständig, weil Brückner seinen letzten Wohnsitz in Braunschweig hatte.