Bundesgerichtshof stärkt Selbstbestimmungsrecht von Patienten
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit einem Grundsatzurteil in einem Sterbehilfe-Verfahren das Selbstbestimmungsrecht von Patienten gestärkt.

Das Wichtigste in Kürze
- Freisprüche für zwei Ärzte in Sterbehilfe-Verfahren bestätigt.
Der fünfte Strafsenat des BGH in Leipzig bestätigte am Mittwoch die Freisprüche für zwei Ärzte wegen ihrer Unterstützung bei Selbsttötungen. Sie hätten sich nicht strafbar gemacht und seien nicht zur Rettung des Lebens ihrer suizidwilligen Patientinnen verpflichtet gewesen. (Az. 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18)
Das Gericht bestätigte die Freisprüche der Landgerichte Berlin und Hamburg, indem es die dagegen eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft zurückwies. Umstritten war vor allem, ob sich die Ärzte wegen Tötung durch Unterlassen strafbar gemacht hatten.
Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass die beiden Angeklagten auch nach Eintritt der Bewusstlosigkeit bei den Frauen «nicht zur Rettung ihrer Leben verpflichtet» gewesen seien. Auch eine jedem obliegende Hilfspflicht wurde demnach nicht verletzt. Die Frauen hätten eigenveranwortlich gehandelt - und dies nach langer Überlegung und in voller Einsichtsfähigkeit, sagte der Vorsitzende Richter Norbert Mutzbauer. Sie hätten den «lebensvernichtenden Akt selbst ausgeführt».
Der BGH-Strafsenat stellte fest, dass die Sterbewünsche auf einer «im Laufe der Zeit entwickelten, bilanzierenden Lebensmüdigkeit» beruhten und nicht Ergebnis psychischer Störungen gewesen seien. Der Wille der Patientinnen sei vom Arzt zu respektieren.
Damit rückte der BGH zugleich von einem früheren Urteil aus den 80er Jahren ab. Im Kern ging es dabei um die sogenannte Garantenpflicht des Arztes für die Gesundheit des Patienten. Vor allem im Fall des Berliner Arztes Christoph T., der eine 44-jährige Patientin beim Suizid unterstützte, betonte das Gericht explizit das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Dadurch sei T. von der aufgrund seiner Stellung als Hausarzt grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Lebensrettung entbunden gewesen.
Die 44-jährige Frau litt seit ihrem 16. Lebensjahr an einer nicht lebensbedrohlichen Krankheit, die aber starke krampfartige Schmerzen verursachte, sowie an weiteren wiederkehrenden Leiden. Nachdem sie die Medikamente eingenommen hatte, begleitete der Arzt ihr zweieinhalb Tage dauerndes Sterben.
In Hamburg wurde im Zusammenhang mit dem Tod von zwei 81 und 85 Jahre alten Frauen ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie freigesprochen. Die Frauen litten an mehreren nicht lebensbedrohlichen Krankheiten, die aber ihre Lebensqualität zunehmend einschränkten.
Sie wandten sich deshalb an einen Sterbehilfeverein, der eine Hilfe von einem neurologisch-psychiatrischen Gutachten zu ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit abhängig machte. Dieses erstellte der Arzt. Er war laut BGH zudem dabei, als die Frauen die tödlich wirkenden Medikamente einnahmen. Auf ihren Wunsch leitete er auch keine Rettungsmassnahmen ein, als sie das Bewusstsein verloren.
Beide Mediziner zeigten sich nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs zufrieden, dass nunmehr Rechtsklarheit in ihren Fällen geschaffen worden sei.
Allerdings gibt es zur Sterbehilfe nach wie vor offene juristische Fragen. Entscheidende Bedeutung kommt dabei einem noch in diesem Jahr erwarteten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu. Das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe verhandelte im April zwei Tage öffentlich über das Verbot geschäftsmässiger Sterbehilfe.
Der Bundesgerichtshof verwies ausdrücklich darauf, dass das Verhalten der beiden Ärzte nicht an dem neuen Straftatbestand der geschäftsmässigen Förderung der Selbsttötung zu messen gewesen sei. Dieser sei zur Zeit der Suizide noch nicht in Kraft gewesen.