Auch in der zweiten Woche der documenta fifteen wird die Weltkunstausstellung in Kassel weiter von der Antisemitismus-Debatte überschattet. Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, hat allerdings davor gewarnt, die gesamte Schau unter Generalverdacht zu stellen. «Jetzt 1500 Künstlerinnen und Künstler als Antisemiten darzustellen, das ist grob falsch», sagte er der «Frankfurter Rundschau» (Montag).
Am Tag nach dem Abhängen des umstrittenen Grossbanners «People's Justice» des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi sind auf dem Friedrichsplatz nur noch das Gerüst sowie die Ständer für die ebenfalls entfernten Pappfiguren zurückgeblieben.
Am Tag nach dem Abhängen des umstrittenen Grossbanners «People's Justice» des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi sind auf dem Friedrichsplatz nur noch das Gerüst sowie die Ständer für die ebenfalls entfernten Pappfiguren zurückgeblieben. - Uwe Zucchi/dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Ein als antisemitisch eingestuftes Kunstwerk des indonesischen Kollektivs Taring Padi war nach wenigen Tagen auf der documenta abgebaut worden.

Mendel hatte als einer der ersten auf dessen judenfeindliche Bildsprache hingewiesen und die Entfernung des grossflächigen Banners gefordert. Zuvor hatte es schon seit Monaten Antisemitismus-Vorwürfe gegen das kuratierende Kollektiv Ruangrupa aus Indonesien gegeben.

Nun werden laut documenta alle weiteren Werke mithilfe externer Experten, darunter auch Mendel, auf antisemitische Inhalte geprüft. Den Zeitpunkt dieser Begutachtung kritisierte Mendel am Montag als «natürlich komplett falsch». Dieser Prozess wäre in der Zeit der Vorbereitung notwendig gewesen, was offensichtlich nicht passiert sei. Er betonte aber zugleich: «Da kann man sich bockig stellen, und sagen, jetzt müsst ihr halt alles schliessen, oder, und das ist meine Haltung, konstruktiv sein und im Interesse von allen Beteiligten diese documenta noch retten.»

Im schlimmsten Fall könnten Werke entfernt oder auch Künstlerinnen und Künstler ausgeladen werden, erläuterte Mendel - und unterstrich zugleich: «Wir wollen nicht den Zensor spielen, sondern versuchen, die verschiedenen Perspektiven in Betracht zu ziehen und mit den Künstlern zu sprechen. Und im besten Fall einvernehmlich eine Lösung finden.» Eine Anfrage zum konkreten Ablauf und Stand der Prüfung beantwortete die documenta bis Montagnachmittag nicht.

Einen Abbruch der Schau hält Mendel nicht für sinnvoll, aber auch nicht für ausgeschlossen. «Das wäre vermutlich nicht im Interesse des Zentralrats der Juden, nicht im Interesse des Publikums, der Künstler. Aber wer weiss, was noch geschieht.» Die Situation sei sehr toxisch und explosiv.

Bei Ruangrupa sieht Mendel nach eigenen Angaben «die Bereitschaft, dass sie ihre eigene Position reflektieren möchten». Das Kuratorenkollektiv hatte sich vergangene Woche für die antisemitischen Motive entschuldigt. Dennoch gebe es nach wie vor einen Dissens: «Für mich ist die Darstellung von Juden als Blutsauger, als Vampire oder als Träger von SS-Runen auf jedem Kontinent und in jedem Land dieser Erdkugel antisemitisch.»

Wenn Ruangrupa der Meinung sei, in Jakarta könne man so ein Werk weiter zeigen, dann bestehe eine fundamentale Differenz, die ausgehandelt werden müsse. Die Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, hatte zuvor erklärt, in Indonesien sei das Werk scheinbar ein unverfängliches Bild. «Auch wenn das für uns unverständlich erscheint, zumal Antisemitismus auch ausserhalb Deutschlands wächst».

Ein Podium zum Thema «Antisemitismus in der Kunst», an dem auch Mendel teilnimmt, soll nun den Auftakt einer Reihe zur Aufarbeitung der Vorwürfe bilden. Zu dem Austausch an diesem Mittwoch lädt die Bildungsstätte Anne Frank gemeinsam mit der documenta gGmbH nach Kassel ein. Neben Mendel werden auch Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin und Vorstandsmitglied der Kulturstiftung des Bundes, sowie Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) erwartet.

In der kommenden Woche werden die Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Ausstellung dann auch den Deutschen Bundestag beschäftigen. Für den 7. Juli steht laut Sitzungsplan die Beratung eines Antrags der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel «Konsequente Antworten auf den Antisemitismusskandal bei der documenta geben» auf der Tagesordnung.

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