Das neue Berliner Koalitionsdrama steuert auf eine Entscheidung zu. Wird Verfassungsschutz-Chef Maassen gegen den Willen von Innenminister Seehofer gestürzt?
Die ikonische Geste der deutschen Bundeskanzlerin.
Die ikonische Geste der deutschen Bundeskanzlerin. - dpa
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Merkel soll sich gegen den Verfassungsschutz-Chef Maassen ausgesprochen haben.
  • Es droht die Eskalation zwischen Innenminister Seehofer und der Kanzlerin.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) soll sich nach Informationen der «Welt» entschieden haben, dass der umstrittene Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maassen seinen Posten räumen muss. Das berichtete die Zeitung am Montag unter Berufung auf Koalitionskreise. Eine Regierungssprecherin wollte das nicht kommentieren. Sie verwies auf ein Treffen Merkels mit SPD-Chefin Andrea Nahles und CSU-Chef Horst Seehofer an diesem Dienstag in Berlin. Da Seehofer als Innenminister und oberster Dienstherr Maassen stützt, droht eine Eskalation des Konflikts zwischen Merkel und Seehofer - möglich wäre dann auch ein Aus für Seehofer.

Auch Merkel selbst wollte sich vor dem geplanten Spitzengespräch nicht zur Zukunft des Verfassungsschutzpräsidenten äussern. Sie könne dem, was sie bereits am vergangenen Freitag zu dem Thema gesagt habe, nichts hinzufügen, sagte sie am Montag auf Reporterfragen in Algier. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnte eine rasche Entscheidung an. Er antwortete während eines Staatsbesuchs in Finnland auf eine Frage nach dem Koalitionsstreit: «Ich kann nur meiner Hoffnung Ausdruck geben, dass dort, wo Entscheidungen gefällt werden müssen, sie bald fallen.»

Eine finale Entscheidung sei noch nicht gefallen, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen der Unionsfraktion im Bundestag. Auch in SPD-Kreisen wusste man zunächst nichts von einer definitiven Entscheidung - man gehe aber fest von der Ablösung des Spitzenbeamten aus. In der Koalition hiess es am Montag, derzeit werde noch nach einer Kompromisslösung gesucht, die auch Seehofer zufriedenstelle.

SPD-Vizechef Ralf Stegner sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Es ist ein gutes Signal, wenn die Bundeskanzlerin die Haltung der SPD teilt.» Er erklärte: «In einer Zeit, wo die demokratische Grundordnung von rechts attackiert wird, darf das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden nicht untergraben werden.» Stegner warf Maassen ein Versagen bei der Aufklärung der Morde des rechtsextremen NSU, im Fall des Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri sowie angebliche «freundschaftliche Beratungsgespräche mit der AfD» vor. Maassen trifft sich immer wieder mit Politikern aller im Bundestag vertretenen Parteien zu Gesprächen über die Sicherheitslage - am wenigsten hat er dabei nach dpa-Informationen mit der FDP und der AfD gesprochen.

Um Maassen zu entlassen, müsste Merkel gegenüber Seehofer von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen. Das dürfte CDU und CSU kurz vor der Landtagswahl in Bayern (14. Oktober) vor eine weitere Zerreissprobe stellen. Dass auch Merkel Maassen kritisch sieht, ist ein offenes Geheimnis: Er hatte von Anfang an die Politik offener Grenzen in der Flüchtlingskrise skeptisch bewertet. Die «Welt» berichtete, Merkel wolle Maassens Ablösung erreichen. Dies habe die CDU-Vorsitzende führenden Mitgliedern der Koalition aus Union und SPD am Wochenende am Telefon signalisiert. Merkel sei der Auffassung, der Behördenleiter sei nicht mehr tragbar, weil er sich in die Tagespolitik eingemischt habe.

Auf die Frage, ob es zutreffend sei, dass Merkel möchte, dass Maassen seinen Posten räumt, antwortete die stellvertretende Regierungssprecherin Martina Fietz: «Die Meldung der „Welt“ kommentiere ich an dieser Stelle nicht. Ich verweise darauf, dass die Bundeskanzlerin, der Bundesinnenminister und die SPD-Fraktionsvorsitzende am 13. September zu diesem Thema miteinander gesprochen haben, und morgen werden sie ihre Gespräche fortsetzen.» Bis dahin hätten die Koalitionspartner Stillschweigen vereinbart.

Ausgangspunkt der Debatte war eine Äusserung des Verfassungsschutz-Präsidenten, ihm lägen «keine belastbaren Informationen» vor, dass es in Chemnitz Hetzjagden auf Ausländer gegeben habe - vielmehr sprächen «gute Gründe» dafür, dass es sich bei einem entsprechenden Video «um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken».

In Chemnitz war am 26. August ein 35 Jahre alter Deutscher erstochen worden. Des Totschlags tatverdächtig sind drei Asylbewerber, die nach eigenen Angaben aus Syrien und dem Irak stammen. Nach der Tat hatte es Demonstrationen von Rechtsgerichteten, Neonazis, Gegnern der Flüchtlingspolitik sowie Gegenproteste gegeben. Dabei kam es auch zu fremdenfeindlichen Übergriffen.

Nahles hatte am Wochenende gesagt: «Herr Maassen muss gehen, und ich sage Euch, er wird gehen.» Merkel und Seehofer hatten sich zuletzt überzeugt gezeigt, dass die grosse Koalition an dem Konflikt nicht zerbrechen werde - ohne allerdings konkreter zu werden. Die Hoffnung auf einen freiwilligen Rücktritt Maassens erfüllte sich bisher nicht.

FDP-Chef Christian Lindner sagte der «Welt»: «An der Spitze des Verfassungsschutzes ist ein personeller Neuanfang nötig, um das allgemeine Vertrauen in den Inlandsnachrichtendienst zu stärken.» Der FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann beklagte in Berlin, der Verfassungsschutz sei «in einer Zeit, in der Extremismusbekämpfung eine Aufgabe höchster Priorität ist» von seinem eigentlichen Auftrag abgelenkt. «Deshalb wird es Zeit, dass es jetzt eine klare Entscheidung gibt und Herr Seehofer Herrn Maassen entlässt.» Linksfraktionschef Dietmar Bartsch nannte eine Ablösung überfällig. «Schwarz-Rot ist nur noch im Krisenbewältigungsmodus.»

AfD-Fraktionschefin Alice Weidel erklärte die Diskussion um Maassen damit, dass dieser für seine Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik bestraft werden soll. «Jeder, der Merkels rechtswidrige Einwanderungspolitik kritisiert, wird von der etablierten Politik gnadenlos durch die Mangel gedreht», schrieb sie auf Facebook.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

FacebookAndrea NahlesAlice WeidelFlüchtlingskriseCSUCDUAfDSPDFrank-Walter SteinmeierHorst Seehofer