7. Oktober: Bücher zum Schock, dem Terror und den Folgen
Ob Zeugen und Betroffene, Wissenschaftler und Journalisten, nah dran oder aus der Ferne beobachtend: Der Terrorangriff vom 7. Oktober in Israel hat auch in der Literatur Spuren hinterlassen.
Dror Mishani, beliebter Autor von israelischen Kriminalromanen, war auf Autorenreise in Frankreich, als ihn am 7. Oktober 2023 die Nachricht vom Terrorangriff der Hamas in Israel erreichte. Er stand vor der Frage: sofort zurückreisen, oder lieber Frau und Kinder ins sichere Europa holen?
Ron Leshem, Autor, Journalist und ehemaliger Geheimdienstoffizier, baute sich mit seinem Lebensgefährten ein neues Leben in den USA auf, als er erfuhr, dass das Leben eines Teils seiner Familie zerbrochen war: Sein Onkel und seine Tante wurden ermordet, sein Cousin als Geisel nach Gaza verschleppt.
Trauer und Entsetzen verarbeitet
Lee Yaron, Journalistin der Zeitung «Haaretz», sprach mit Überlebenden, Hinterbliebenen: Drei israelische Autoren, die in den Monaten nach dem Anschlag Bücher über den Terror schrieben und das, was er mit den Menschen ihres Landes machte.
Gemeinsam ist ihren Texten, dass sie bei aller Trauer und Entsetzen von grosser Nachdenklichkeit geprägt sind, reflektiert und schockiert auch über das Leid der Zivilisten in Gaza. Sie suchen nach einem Umgang mit dem Geschehenen, schildern Einzelschicksale, die stete Sorge um die Geiseln und das Bemühen, mit der neuen Realität umzugehen.
In «Fenster ohne Aussicht», wie Mishani sein «Tagebuch aus Tel Aviv» nennt, denkt er auf dem Rückflug nach Israel, mitten im ersten Schock, nicht über Rache nach, sondern über einen offenen Brief, in dem er zum Innehalten appellieren will: «nicht reingehen, nicht in Schutt und Asche legen, nicht zerstören, nicht vernichten, sondern trauern, Shiva sitzen, Wunden verbinden und verbinden lassen.
Und dann nachdenken. Zuerst einmal nachdenken. Nachdenken nicht nur darüber, wie wir angreifen sollen oder den nächsten Angriff verhindern können, sondern darüber, wie wir hier mit unseren Nachbarn leben wollen, auch mit unseren derzeitigen Feinden – was nicht alle sind, das dürfen wir nie vergessen.»
Versagen auf politischer Ebene
Mishani beobachtet, wie der Krieg die Öffentlichkeit und auch die eigene Familie spaltet: Seine Tochter verfolgt in Dauerschleife Horrorvideos und verweigert sich Mitgefühl für die Zivilbevölkerung in Gaza, der Sohn zieht sich in unpolitische Schlupfwinkel zurück, Premier League und Computerspiele.
Der Terror nimmt Mishani nicht die Fähigkeit, die Menschen auf der anderen Seite zu sehen, ihre Menschlichkeit und ihr Leiden. Er geht zu den Demonstrationen der Angehörigen der Geiseln, verfolgt das Hoffen und Bangen um die Freilassung, die Enttäuschung, dass ein Deal für alle Entführten weiterhin nicht in Sicht ist. Polemische oder nationale Töne sind diesem Tagebuch völlig fremd, es ist eine Absage an Fanatismus, aber auch an den Fatalismus.
Auch Ron Leshems «Feuer» ist voll Schmerz, Verzweiflung und Wut über das Versagen auf politischer Ebene und der der Sicherheit, trotz Warnungen und Analysen. Doch es ist kein Buch des Hasses. Leshem sucht weiterhin Kontakt zu palästinensischen Freunden in Gaza und im Westjordanland, ist bedrückt angesichts der Auswirkungen des Krieges, aber auch der Täter-Opfer-Umkehrung in einem grossen Teil der Welt.
Leshem lebt in Boston, sein Lebensgefährte ist Wissenschaftler. Den Israel-Hass an den Campussen der Universitäten, der auch immer öfter in kruden Antisemitismus umschlägt, erlebt er unmittelbar. Dazu gehört auch, dass die Massaker vom 7. Oktober geleugnet werden und Terroristen, die gemordet, gefoltert, vergewaltigt und grösstmöglichen Schmerz und Terror verbreitet haben, als Freiheitskämpfer verklärt werden.
Man kann Leshems Fassungslosigkeit spüren, dass ausgerechnet Minderheitengruppen, Linke oder LGBTQ-Aktivisten die Hamas verklären und ihren Kampf als Freiheitskampf umdeuten, ohne deren Haltung beispielsweise gegenüber Frauen oder Homosexuellen zur Kenntnis zu nehmen.
Leshems Buch, das auch eine schmerzlich zu lesende Chronologie der Massaker enthält, ist ein Appell, einen anderen Weg zu beschreiten, jenseits der Gewalt. Und es ist eine Warnung vor der Zerstörung der Demokratie und nationalistischen Trieben: «Schaut auf mein Heimatland, und ihr seht darin eure eigene Zukunft. Unser Unglück sind nicht nur die radikalen, fanatischen Ränder, es ist vor allem auch die schweigende Mehrheit, die sich nicht aufrafft, gegen diese in den Kampf zu ziehen.»
Lee Yaron erzählt in ihrem Buch «Israel, 7. Oktober» von den letzten Stunden der Menschen, die bei den Anschlägen ums Leben kamen, von denen, die zwar überlebt haben, aber schwer traumatisiert sind von dem Erlebten und dem Tod von Freunden und Angehörigen. Sie berichtet nicht nur von Kibbuzbewohnern, sondern auch von betroffenen Beduinen in der Negev-Wüste, die weder über Schutzräume verfügten noch über Warnanlagen.
Sie beschreibt das Leben nepalesischer Landwirtschaftsstudenten und thailändischer Arbeiter, die von einem besseren Leben träumten und in einem Konflikt starben, den sie ebenso wenig verstanden wie die Sprache der Menschen, für die sie Obst oder Salat ernteten. Damit wird auch ein Blick auf die marginalisierten Menschen in der israelischen Gesellschaft geworfen, die am 7. Oktober ebenso von Terror und Gewalt betroffen waren wie die jüdischen Israelis.
In einer Mischung aus Reportage und Oral History lässt Yaron immer wieder diejenigen zu Wort kommen, die nichts mehr sagen können, etwa durch die Dokumentation letzter Messenger-Nachrichten und Telefonaten von Menschen, die wussten, dass sie gleich sterben würden.