In Tunesien werden Flüchtlinge teils gnadenlos abgeschoben. In der Hoffnung, nach Europa zu gelangen, verharren sie in der Wüste.
Tunesien Flüchtlinge
In Tunesien drohen Migranten abgeschoben zu werden. Im Bild: Ein Flüchtling sitzt in der tunesischen Hauptstadt Tunis. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Tunesien steht erneut wegen der «Wüstenentsorgung» von Migranten in der Kritik.
  • Ein Betroffener berichtet, man habe sein Handy und Geld genommen und ihn ausgesetzt.
  • Tunesien soll das Vorgehen mit Geldern aus der EU finanzieren.
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Die tunesischen Behörden stehen unter Beschuss wegen des Vorwurfs der illegalen «Kollektivausweisungen» von Migranten. Diese Praxis wird auch «Wüstenentsorgung» genannt und soll mit Geldern aus der Europäischen Union finanziert werden.

Mamadou aus dem Tschad ist einer der Betroffenen. Er berichtet gegenüber der «Deutschen Welle» von seiner erschreckenden Erfahrung Anfang des Monats. Zuvor hatte er es nicht geschafft, die italienische Insel Lampedusa zu erreichen.

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Die Beamten der tunesischen Küstenwache hätten ihnen die Handys und das Geld abgenommen. «Dann fuhren sie uns zur libyschen Grenze», erzählt Mamadou aus seinem Versteck – einem Olivenhain nahe der tunesischen Hafenstadt Sfax.

«Wüstenentsorgung»

Dieser Olivenhain ist mittlerweile ein bekannter Zufluchtsort für etwa 80'000 Migranten aus Subsahara-Staaten geworden. Sie hoffen auf eine Chance, das Mittelmeer zu überqueren und Europa zu erreichen.

Lauren Seibert von Human Rights Watch untersucht die Rechte von Flüchtlingen und Migranten. Sie bestätigt, dass das, was Mamadou und andere erlebt haben, eine unrechtmässige kollektive Ausweisung ist: «Eine ‹Wüstenentsorgung›», wie sie es nennt.

Länder wie Algerien, Libyen und Mauretanien praktizieren diese Art der Ausweisungen schon seit Jahren. In Tunesien scheint dies jedoch ein neueres Phänomen zu sein.

In Libyen wurde eine Gruppe von Migranten, die illegal aus Tunesien über die Grenze flüchtete, gerettet. (Sommer 2023) - Libyscher Grenzschutz

Ein anonymer tunesischer Migrationsexperte stimmt Seibert zu: «In den vergangenen Jahren gab es nur eine Handvoll Fälle. Jetzt scheinen die Abschiebungen systematischer zu sein.» Er fügt hinzu, dass die Migranten teilweise aus den Städten Sfax und Zarzis abgeschoben werden.

Lighthouse Reports, eine investigative Nachrichtenorganisation, veröffentlichte Anfang dieses Monats einen Bericht über die Zunahme der sogenannten «Wüstenhalden». Nach einem Jahr der Untersuchung kam sie zum Schluss: Die tunesische Nationalgarde steht im Zentrum dieser Operationen – finanziert grösstenteils durch europäische Gelder.

Fördern EU-Gelder Kollektivausweisungen?

Im letzten Jahr hat die EU Migrationspartnerschaften mit Ägypten, Marokko, Mauretanien und Tunesien abgeschlossen. Das Ziel dieser Partnerschaften ist es, die Migration nach Europa einzudämmen. Doch viele Beobachter sind besorgt über die jüngsten Entwicklungen in der tunesischen Migrationspolitik.

Tunesien hat sich in den letzten Jahren zu einem beliebten Ausgangspunkt für Migranten aus ganz Afrika entwickelt. Sie suchen den Weg nach Europa. Die Hafenstadt Sfax ist zu einem wichtigen Zentrum des Menschenhandels geworden. Es ist eine Tatsache, die von den tunesischen Behörden mehr oder weniger geduldet wurde.

EU
Die EU unterstützt das finanziell angeschlagene Land und investiert in den Kampf gegen illegale Migration. - keystone

Im Februar 2023 jedoch leitete der tunesische Präsident Kais Saied ein hartes Vorgehen gegen Migranten ein. Er behauptete, dass Migranten aus Ländern südlich der Sahara die demografische Struktur Tunesiens bewusst verändern würden. Es folgten landesweite Polizeiaktionen, bei denen viele Familien schikaniert und willkürlich festgenommen wurden.

Letzten Sommer bot Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin, Tunesien ein Partnerschaftspaket im Wert von über einer Milliarde Euro an. Saied beteuerte wiederholt, dass Tunesien weder «Zentrum noch eine Durchgangsstation für Subsahara-Afrikaner» sei. Trotzdem berichten Menschenrechtsaktivisten von einem Anstieg illegaler kollektiver Abschiebungen.

Laut Lauren Seibert fördern «die zunehmenden EU-Mittel für die Migrationskontrolle diese Kollektivausweisungen». Die EU hat bisher nicht explizit auf diese Vorwürfe reagiert.

Gefahr an der Grenze

Tunesien hat im Mai 2023 erstmals etwa 1200 Migranten an die Grenze zu Libyen verschleppt. Diese Aktion führte zu einer humanitären und politischen Krise. Nach internationalen Protesten wurden die Abschiebungen im Juli gestoppt, nur um im September wieder aufgenommen zu werden.

Die Zukunft für Migranten in Tunesien bleibt ungewiss. Während einige an die algerische Grenze gebracht werden, landen andere an der libyschen Grenze. Dort laufen sie Gefahr, missbraucht und erpresst zu werden.

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