Das steht nach Israels Iran-Angriff auf dem Spiel
Der Angriff Israels auf den Iran könnte den Nahen Osten weiter destabilisieren – oder einen politischen Umbruch einleiten. Eine Einschätzung.

Das Wichtigste in Kürze
- Israel hat wohl mit US-Zustimmung einen Angriff auf Irans Atomprogramm gestartet.
- Der Krieg kann das iranische Regime stützen – oder stürzen.
- Netanjahu steht innenpolitisch unter Druck – soll der neue Krieg davon ablenken?
Der Angriff von Israel auf den Iran bedeutet eine Zeitenwende im Nahen Osten. Die Konflikte im Krisengebiet sind alle eng mit dem iranischen Regime verbunden. So unterstützt der Iran beispielsweise die Terror-Organisationen Hisbollah und Hamas finanziell und logistisch.
Innenpolitisch ist die Lage im Iran heikel. Immer wieder kommt es zu Protesten gegen das Mullah-Regime, das sich wenig um die Belange der eigenen Bevölkerung kümmert.
Wir beantworten die wichtigsten Fragen zur aktuellen Lage in Nahost.
Was ist in der Nacht passiert?
Israel hat einen massiven Luftangriff auf den Iran gestartet, dabei vor allem die Militärführung und Atomwissenschaftler treffen wollen.
Bestätigt sind der Tod des Kommandanten der Revolutionswächter, Hussein Salami sowie seines Generalstabschefs Mohammed Bagheri.
Der Iran hat umgehend Vergeltung angekündigt und gedroht, dass Israel einen hohen Preis für die Aggression zahlen müsse.
Weshalb ist das Atomprogramm des Irans von zentraler Bedeutung?
Die Vernichtung Israels ist Staatsdoktrin im Iran. Die Aufrüstung des Atomprogramms im Iran schürt in Israel die Angst vor einem «nuklearen Holocaust». Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sagte: «Wir haben keine andere Wahl, als zu handeln.»
Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran zur Abrüstung haben zu keinem Ergebnis geführt. Der Iran «kann keine Atomwaffen haben, das werden wir nicht erlauben», sagte auch US-Präsident Donald Trump.
«Die Verhandlungsführung der USA ist jedoch sehr unklar gewesen», sagt Nahost-Experte Carsten Wieland im Gespräch mit Nau.ch. Immer wieder seien Forderungen verändert worden.
«Das führe ich darauf zurück, dass Trump und sein Team durch Benjamin Netanjahu unermüdlich beeinflusst wurden, kompromissloser aufzutreten», erklärt Wieland.
Welche weiteren Interessen verfolgt Israels Regierung mit dem Angriff?
Israels Ministerpräsident steht im eigenen Land unter grossem Druck. Sein brutales Vorgehen im Gaza-Streifen stösst in Israel nicht auf uneingeschränkte Zustimmung. Die Proteste im eigenen Land wurden immer lauter.
Zudem drohen seine rechtsreligiösen Koalitionspartner mit einem Bruch der Koalition, weil orthodoxe Juden nun Wehrpflicht leisten müssen.
«Mit dem Schlag gegen den Iran kann Netanjahu von diesen Problemen ablenken. Und den Fokus auf ein grösseres Feuer lenken», erklärt Wieland.
Welche Rolle spielt die USA?
Die USA bestreiten eine direkte Beteiligung am Angriff. «Wir sind an den Angriffen gegen Iran nicht beteiligt. Unsere oberste Priorität ist der Schutz amerikanischer Truppen in der Region», sagte Aussenminister Marco Rubio.
Es ist aber davon auszugehen, dass die USA Israels Angriff zumindest abgesegnet haben. Auf militärische Unterstützung dürften die USA verzichten, sofern es für Israel nicht existenzbedrohend wird.
Gibt es weitere Player im Konflikt?
Die arabischen Staaten der Region – nicht alle sind dem Iran wohlgesinnt – dürften nach dem Angriff grosse Sorgen haben.
Denn: Der Iran hat angekündigt, sich heftig zu wehren. Beispielsweise auch mit Angriffen auf US-Basen in den nahe gelegenen Golf-Staaten – wobei Kollateralschäden nicht zu vermeiden wären.

«Bis auf Netanjahu», sagt Wieland deshalb, «haben alle Player gehofft, dass es nicht zu einem regionalen Konflikt kommt. Sondern eine diplomatische Lösung obsiegt.»
Die Ausnahme: Die iranischen Widerstandskämpfer, die seit Jahren gegen das Mullah-Regime aufbegehren. In der Diaspora gibt es eine grosse säkulare iranische Gemeinschaft, die auf einen Umsturz hofft.
Die Revolutionäre sehen die Chance, im Chaos eines militärischen Konflikts die Macht im Land nach der islamischen Revolution 1979 zurückzuerlangen. Der Angriff auf das Land wird in diesen Kreisen daher begrüsst.
Gibt es im Iran nun eine Revolution?
Wie stehen die Aussichten dafür, dass es so weit kommen könnte? «Das kommt auf die Dynamik an, die sich aus den Angriffen auf den Iran ergeben werden», sagt Wieland.
Sollten zum Beispiel nicht nur militärische, sondern auch zivile Ziele getroffen werden, könnte dies das iranische Zusammengehörigkeitsgefühl stärken.
Man dürfe überdies nicht vergessen, dass das Image von Israel und den USA auch in der westlichen Welt gelitten habe. Israels Vergeltungsaktionen in Gaza nach dem Terror der Hamas vom 7. Oktober 2023 werden zunehmend kritisch bewertet. Die USA verspielen mit Präsident Trump derzeit innen- und aussenpolitisch viel Goodwill.
«Das Schlimmste wäre», sagt Wieland, «wenn nun eine Solidarisierungswelle mit dem menschenverachtenden iranischen Regime entsteht». Dann nämlich wären die Bemühungen der iranischen Aktivisten vorderhand zunichtegemacht.