«Insulaner» erzählt vom Erbe eines abtrünnigen Robinson Crusoe

Die Schweiz – eine Insel? Nun ja. Die Schweiz – ein Königreich? Wohl kaum.

Und irgendwie dann eben doch. Wie das geht, erzählt der Lausanner Regisseur Stéphane Goël in seinem Dokfilm «Insulaner». Es ist die Geschichte von einem Berner Sündenbock. Einem Patrizier, der erst in den Krieg und dann in die weite Welt zog, um der eidgenössischen Enge zu entkommen.

Es ist die Geschichte eines Archipels, fernab unserer gewohnten Gefilde. Ein Berg, mitten im Ozean, vor der Küste Argentiniens. Hier strandete einst der schottische Pirat Alexander Selkirk. 28 Jahre lang lebte er alleine auf der Insel, bis er gefunden und gerettet wurde.

Selkirk Geschichte inspirierte Daniel Defoe zu einem Roman, der auf kaum einem Kinder-Nachttisch fehlte. Robinson Crusoe ist reale Fiktion und für viele träumerische Fantasie.

Auch für den Berner Patrizier Alfred von Rodt. Am 17. April 1877 wurde er – für eine Miete von 1500 Dollar - stellvertretender Präfekt, Richter und Minister für Zoll und des kleinen Archipels.

«Diese Insel wird meine Heimat, meine Schweiz sein. Der Ozean wird die Alpen ersetzen», schrieb er an einen blaublütigen Cousin.

«Weit weg von Bern, weit weg vom Zytglogge. Mitten im Ozean», wollte der Abenteurer neu beginnen. Seinen ersten euphorischen Brief unterschrieb er mit «Robinson Crusoe II».

Der zweite Robinson scheiterte glorreich.1905 starb er – von Geldsorgen geplagt und ohne der Insel zu einem nennenswerten Wirtschaftswunder verholfen zu haben. Doch sein Erbe – oder besser: seine Erben – leben weiter.

«Insulaner» ist vor allem ihre Geschichte. Wie leben die paar hundert Nachkommen de Rodts auf ihrer Insel? Wie viel Schweiz steckt noch hinter den spanisch angeschriebenen Fassaden?

Wie geht eine finanziell schwache Gesellschaft mit Schicksalsschlägen um? 2010 zerstörte ein Tsunami grosse Teile der Infrastruktur.

Wie geht eine eingeschworene Gesellschaft mit Neuankömmlingen um? Nun – spätestens hier zeigt sich die eidgenössische Ader. So hält Regisseur Goël der Schweiz über den Ozean hinweg den Spiegel vor. Seine Expedition auf eine ferne Insel wird gleichsam zu einer Expedition ins Herzen der Schweiz.

Untermalt wird die Gesellschaftskritik in der Deutschen Filmfassung von der Wahl des Sprechers. Passagen aus Briefen und Tagebucheinträgen von Rodts werden von Autor Pedro Lenz vorgetragen.

«Insulaner» ist das Porträt einer Insel, die nicht nur wegen ihres einstigen Pächters an die Schweiz erinnert. Und es ist die Geschichte eines sturen Abenteurers, dessen Traum noch immer irgendwo lungert. In einer der schroffen Klippen der Isla Robinson Crusoe. Ausgewaschen, verbleicht und doch nicht zu begraben.

Leicht ausgewaschen wirkt teilweise auch Goëls Dokumentation. Der Versuch, tief blicken zu lassen, driftet ab und an in die Nichtigkeit ab. Die von Sprecher Lenz selber übersetzten Off-Texte holpern hie und da. Und die Insel-Ruhe, die auf Leinwand projiziert werden soll, wir teilweise zur Langeweile.

Dennoch bleibt «Insulaner» alles in allem ein schönes Stück international-eidgenössischer Geschichte.

★★★☆☆      

Ab jetzt im Kino.