Als Ideologe des sogenannten Sozialismus des 21. Jahrhunderts beriet er den ehemaligen venezolanischen Staatschef Hugo Chávez. Dessen Nachfolger Nicolás Maduro hält der deutsche Soziologe Heinz Dieterich für einen «gescheiterten Mann».
Noch geniesst der venezolanische Präsident Nicolas Maduro den Rückhalt grosser Teile des Militärs. Foto: Fernando Llano/AP
Noch geniesst der venezolanische Präsident Nicolas Maduro den Rückhalt grosser Teile des Militärs. Foto: Fernando Llano/AP - dpa-infocom GmbH
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Nicolás Maduro umgibt sich gern mit Soldaten: Offiziere mit roten Baretts, Fallschirmjäger, Piloten in grüner Uniform.

In den sozialen Medien postet der venezolanische Staatschef viele Bilder und Videos von sich mit den Militärs.

Der Präsident braucht sie. Die Streitkräfte sind seine Überlebensgarantie. Sie könnten aber auch diejenigen werden, die ihn ins Exil schicken.

«Der Sturz Maduros wird vom Militär ausgehen», sagt der deutsche Soziologe Heinz Dieterich. Er gilt als Ideologe des sogenannten Sozialismus des 21. Jahrhunderts und diente als informeller Berater von Maduros Vorgänger Hugo Chávez, der von 1999 bis zu seinem Tod 2013 Staatschef war.

Jetzt wächst in Venezuela der Druck. Der Parlamentschef und selbst ernannte Interimspräsident Juan Guaidó wird seit Montag von zahlreichen europäischen Ländern anerkannt. Schon zuvor hatten ihn die Vereinigten Staaten und Kanada sowie verschiedene lateinamerikanische Regierungen als rechtmässigen Übergangspräsidenten akzeptiert.

Maduro dagegen sei ein «gescheiterter Mann ohne Zukunft», sagt der 75-jährige Soziologe, der ein Institut an der Universidad Autónoma Metropolitana in Mexiko-Stadt leitet, der Deutschen Presse-Agentur.

Früher arbeitete er eng mit Chávez zusammen, dem Vater der sogenannten bolivarischen Revolution - benannt nach dem im heutigen Venezuela geborenen Unabhängigkeitskämpfer Simón Bolívar (1783-1830). Auch wenn sich Dieterich später von Chávez distanzierte, erinnert er sich dennoch an den aus seiner Sicht «aussergewöhnlichen» Menschen.

Der Vordenker des Chavismus stammt aus Rotenburg (Wümme). Er studierte in Frankfurt bei Theodor Adorno und Max Horkheimer. Im Häuserkampf lernte er Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit kennen. Nach seiner Promotion in Bremen kam er über ein akademisches Austauschprogramm nach Mexiko, erhielt einen Lehrauftrag und blieb. Er ist in der Region bestens vernetzt und gilt als Einflüsterer von linken Politikern und Militärs. In Lateinamerika ist er deutlich bekannter als in Deutschland.

Dieterich kennt die Denkweise der lateinamerikanischen Militäroberen und Generäle seit Langem. Nach eigenen Angaben steht Dieterich auch mit venezolanischen Militärs im Kontakt, und er ist sicher, dass sie sich nicht für Maduro aufopfern werden. «Washington hat Maduro praktisch schon von Europa isoliert», sagt er. «In dem Masse, wie es (den USA) gelingt, ihn weiter politisch und diplomatisch zu isolieren und ihn finanziell und wirtschaftlich im Würgegriff zu halten, wird die Zeit für ihn immer knapper. Den Militärs ist klar, dass die Überlebenschance für Maduro gleich Null ist.»

Sollten die Militärs zu dem Schluss kommen, dass Maduro nicht länger zu halten ist, dürften sie zügig die Seiten wechseln. «In entscheidenden Momenten haben wir gesehen, dass sich die Militärs an die realen Machtoptionen anpassen», sagt auch Rocío San Miguel von der Nichtregierungsorganisation Control Ciudadano. «Sie sind eher Pragmatiker als Idealisten.»

Bis dahin steht die Militärführung, die verschiedene strategische Wirtschaftssektoren kontrolliert, weiter zu Maduro, während Guaidó versucht, sie mit Amnestieversprechen zu locken. «Wenn die Militärs morgen ankündigen, dass sie die Präsidentengarde vom Miraflores-Palast abziehen, werden die Massen noch am selben Tag Miraflores einnehmen und Maduro töten», sagt Dieterich mit Bezug auf die offizielle Residenz des Präsidenten.

«Sie werden ihn vor die Entscheidung stellen: am Flughafen gibt es ein Flugzeug, das Sie hinbringen kann, wohin Sie wollen und mit wem Sie wollen. Wir geben Ihnen 24 Stunden. Und nach Ablauf dieser 24 Stunden können die Streitkräfte Ihre Sicherheit nicht mehr garantieren.»

«Maduro wird akzeptieren», meint Dieterich. «Das Exil ist besser als getötet zu werden wie Gaddafi.» Der libysche Staatschef, der mehr als 40 Jahre an der Macht war, wurde 2011 von Rebellenmilizen umgebracht. «Es wird viele Teile (der Gesellschaft) geben, die denken: wenn Maduro geht, ist das der Zeitpunkt für Rache», so Dieterich. Deshalb komme dem Militär eine wichtige Rolle in der Übergangsphase zu - sowohl als Gegengewicht, als auch, um zu vermeiden, dass das Land zum Spielball US-amerikanischer Interessen werde.

«Wenn das Militär keine führende Rolle bei der Festlegung der Übergangsbedingungen übernimmt, liegt alles in Guaidós Hand», sagt Dieterich. Für ihn ist der 35-jährige Politiker nicht mehr als ein «Angestellter des Imperiums», und Venezuela sieht er in Washington bereits als Wahlkampfthema für 2020.

Der deutsche Soziologe, der noch ein Barett aufbewahrt, das ihm Chávez geschenkt hatte, setzt bei einem Übergang eher auf rund 150 zurzeit inhaftierte Militärs. Die aktuelle Militärführung komme dafür weniger infrage: «Alle diese Leute sind abgeschrieben, weil die Bevölkerung sie für die Toten während der Proteste verantwortlich macht. Sie können den Übergang nicht leiten», gibt Dieterich zu bedenken.

Zudem hält Dieterich eine dritte Kraft für nötig, die sich zwischen den beiden «Extremen» Guaidó und Maduro positioniert - natürlich mit militärischer Unterstützung, aber auch mit der Hilfe von China und Russland, «um das Gleichgewicht zu halten», wie er sagt. «Die entscheidende Schlacht findet jetzt statt», meint Dieterich: «Wer den Übergang steuert, der entscheidet die Zukunft Venezuelas.»

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

Nicolás Maduro