Russland, wo bald die Fussball-WM ausgetragen wird, ist anders. Aber viele unserer Vorurteile treffen nicht zu. Wir haben drei Fachleute gefragt, worauf Russland-Besucher achten müssen.
In Moskau wird vielerorts Englisch gesprochen, Bild: Pixabay
In Moskau wird vielerorts Englisch gesprochen, Bild: Pixabay
Auch wer keinen Wodka mag ist in Russland willkommen, Bild: Pixabay
Auch wer keinen Wodka mag ist in Russland willkommen, Bild: Pixabay
Russen tauen sehr rasch auf und halten sich dann weniger zurück als Schweizer, sagt Julia Voevodina, Bild: Artur K. Vogel
Russen tauen sehr rasch auf und halten sich dann weniger zurück als Schweizer, sagt Julia Voevodina, Bild: Artur K. Vogel
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Das Wichtigste in Kürze

  • WM-Reisende sollten in Russland einige Regeln beachten. Gerade die Grossstädte sind aber westlicher als man denkt.
  • Vorsicht geboten ist noch immer bei Themen wie Politik und Homosexualität, aber auch wenn man(n) eine Frau anspricht.
  • Über Trinkrituale mit Wodka werden die wildesten Geschichten erzählt. Einige davon sind wahr...

Begrüssung

Beim Grüssen wird zwischen Männern und Frauen unterschieden. «Händeschütteln ist nur unter Männern üblich», sagt Julia Voevodina, CEO der Schweizer Sprachschulen Liden und Denz in St. Petersburg, Moskau, Irkutsk und Riga. Frauen werden mit Lächeln und Kopfnicken, aber ohne Körperkontakt begrüsst. Wenn man eine Frau kennenlernt, soll man «Abstand halten, distanziert bleiben», ergänzt Martial Stäger vom auf Osteuropa spezialisierten Anbieter Kira Reisen in Windisch. Überschwängliche Freundlichkeit wird als «zu Amerikanisch» empfunden.

Distanz und Nähe

Doch Russen tauen sehr rasch auf und halten sich dann weniger zurück als Schweizer, wie Julia Voevodina sagt: Im Gespräch wird gelegentlich der Arm berührt, oder man klopft jemandem auf die Schulter. Unter Freundinnen und Freunden sind Umarmungen und Wangenküsse üblich.

Mann und Frau

Das Verhältnis zwischen Mann und Frau ist, anders als in Westeuropa, noch von altmodischen Umgangsformen geprägt: Ein Mann hält einer Frau die Tür auf, bietet ihr einen Sitzplatz an und bezahlt, wenn er sie ins Restaurant einlädt.

Einladungen

Wer das Glück hat, eine private Dinner-Einladung zu bekommen, sollte ein Geschenk mitbringen, etwa Pralinen, Alkohol oder Blumen, diese aber in einer ungeraden Zahl und keinesfalls in Gelb: «Wir sind abergläubisch», sagt Julia Voevodina: «Gelb bringt Unglück. Und eine gerade Zahl Blumen schenken wir nur bei Beerdigungen.» Beim Eingang in die Wohnung oder das Haus werden die Schuhe ausgezogen; oft stehen für die Gäste Hauspantoffeln bereit. Wer satt ist, lässt einen Rest auf dem Teller; ist der Teller nämlich leer, wird nachgeschöpft.

Restaurant

Wer im Restaurant isst, muss damit rechnen, dass fremde Personen an seinen Tisch gesetzt werden. 10 Prozent Trinkgeld sind üblich.

Wodka

Über Trinkrituale mit Wodka (deutsch: Wässerchen) werden die wildesten Geschichten erzählt. Einige sind wahr, doch «heute darf man Wodka auch ablehnen, ohne das Gesicht zu verlieren», sagt Claudio Cesarano, CEO des Russland-Spezialisten Atlas Reisen in Zürich. Das russische Nationalgetränk ist entgegen dem Cliché nicht der Wodka, sondern Kwass. Er wird durch Gärung von Brot oder Zwieback hergestellt, manchmal auch aus Früchten. Kwass hat harmlose 0,05 bis 1,5 Volumenprozent Alkohol. Übrigens: Beim Autofahren gilt die 0 Promille-Regel.

Trinksprüche

«Da hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan», sagt Martial Stäger, doch «beim Service müssen sie noch zulegen». Zudem, so Stäger, mangelt es gerade auch in Provinzstädten wie Rostow am Don, Kaliningrad oder Nischni-Nowgorod, wo die Schweizer Elf ihre Vorrundenspiele austrägt, an touristischer Infrastruktur. «An der WM wird nicht jeder ein gutes Hotelzimmer finden», warnt Stäger: «Hingegen ermöglichen solche Städte ein ursprüngliches Reiseerlebnis.»

Wenn Schweizer mit Russen anstossen, sagen sie «Na zdorovje» («Gesundheit») und sind stolz. «Ein Russe würde nie ‚na zdorovje‘ sagen», hält Julia Voevodina fest: «Wir bringen Trinksprüche an, wobei der Gastgeber damit beginnt.»

Tabus

Homosexualität

Militärische Einrichtungen und öffentliche Bauten dürfen nicht fotografiert werden. Ein Blasphemiegesetz ahndet die Beleidigung von Gläubigen. Wer mit Betäubungsmitteln hantiert, riskiert schon bei kleinsten Mengen lange Gefängnisstrafen. Und einen russischen Knast möchte niemand von innen sehen.

«Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen» ist strafbar. Dazu gehören auch sichtbar gelebte gleichgeschlechtliche Beziehungen.

Politik

Sprache

Immerhin führen politische Diskussionen nicht mehr ins Gefängnis oder in die Verbannung wie in der alten Sowjetunion. Mit der eigenen Meinung sollte man trotzdem zurückhalten. «Kritik wird schnell als westliche Bevormundung oder Arroganz ausgelegt», sagt Claudio Cesarano, und Julia Voevodina ergänzt mit einem Augenzwinkern: «Wir mögen zwar äusserlich robust wirken, aber wir sind zarte Seelen.»

Zu Zeiten der Sowjetunion sprach kaum ein Russe Englisch. Das hat sich geändert – teilweise. «Doch nicht jeder spricht Englisch», sagt Cesarano. Man trifft immer noch – sogar im internationalen Flughafen Moskau-Scheremetjewo, in hochklassigen Hotels vor allem in der Provinz oder auch unter Taxifahrern – auf Dienstleister, die nur Russisch beherrschen.

Kleidung

Es wird Wert auf gutes Aussehen und teure Kleidung gelegt: «Viele Frauen nehmen die Stöckelschuhe in der Handtasche mit, wenn sie ins Theater oder ins Restaurant gehen, und wechseln dann an der Garderobe», sagt Julia Voevodina. Während der WM darf es aber durchaus auch ein Fussballtrikot sein…

Tourismus

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