Jean Baldo hat als erste blinde Person die Hotelfachschule abgeschlossen. Heute wirkt er im Zürcher Dunkelrestaurant Blindekuh vor und hinter der Kulisse.
blindekuh Jean Baldo
Jean Baldo liebt es, Gastgeber zu sein. - zVg
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Das Wichtigste in Kürze

  • Der blinde Jean Baldo lässt sich durch seine Beeinträchtigung nicht bremsen.
  • Er hat die Hotelfachschule absolviert und arbeitet heute im Dunkelrestaurant Blindekuh.
  • Auch in der Freizeit ist er viel und gerne unterwegs.

Jean Baldo bahnt sich unter Zuhilfenahme seines Blindenstocks zielsicher den Weg über den Platz beim Bahnhof Stadelhofen. Beim Strassenübergang hält er inne.

«Das ist das 11i-Tram, jetzt bleiben wir kurz stehen. Dann hat es meist sehr viele Leute auf dem Trottoir».

Dass es sich um das lange und meist sehr gut besetzte Tram neueren Modells handelt, weiss der seit Geburt blinde Jean Baldo aufgrund seines feinen Gehörs.

Wir warten den Passantenstrom ab, und gelangen schliesslich per Tram und Fuss zum Restaurant Blindekuh im Zürcher Seefeld.

Restaurant Blindekuh Zürich
Im Restaurant Blindekuh in Zürich nimmt Jean Baldo zahlreiche Aufgaben wahr. - zVg

Im ersten Stock des idyllisch gelegenen Gebäudes hat Jean Baldo sein eigenes Büro. Auf den ersten Blick unterscheidet es sich in Nichts vom Arbeitsplatz einer sehenden Person.

Bis der Thurgauer seinen Computer mit einer ungewöhnlichen Tastatur zu bedienen beginnt. Das Gerät übersetzt in die Braille-Schrift, in Windeseile flitzen Jean Baldos Finger darüber.

Auch die Vorleserstimme spricht so schnell, dass das ungeschulte Gehör kaum folgen kann. Es sind zwei wichtige Hilfsmittel, die ihm das Lesen und Beantworten von E-Mails, sowie den Zugriff auf das Reservationssystem und die Einsatzplanung ermöglichen.

Rundumservice mit Herzblut

Jean Baldo arbeitet seit neun Jahren im Restaurant Blindekuh. Zuerst als Serviceaushilfe, ist er heute für Reservationen sowie die Arbeitsplanung verantwortlich.

Und er arbeitet regelmässig selbst im Service mit, was ihm sehr wichtig ist.

Denn er mag diesen «Rundumservice», wie er es nennt. «Zuerst nehme ich die Reservation entgegen. Dann begrüsse ich die Gäste, und letztlich bediene ich sie sogar am Tisch», erklärt er.

Der blinde Hotelier: ein Video-Porträt über Jean Baldo.

Gastgeber sein, das liegt Jean Baldo – und es macht ihn sichtbar glücklich.

Doch der Weg hierhin war nicht ohne Tücken und, soviel lässt er sich entlocken, erste Wahl war das Gastro- und Hotellerie-Business nicht.

«Ich wäre gerne Musiklehrer geworden», gibt der passionierte Chorsänger und Keyboard-Spieler mit etwas Wehmut preis. Oder Pilot. Ein Flugzeug, oder auch nur schon ein Auto zu lenken «das wär schon was».

Doch zu all diesen Dingen «reichte es einfach nicht», wie es Baldo ausdrückt. Dass es halt einfach nicht ganz dafür reiche, diesen Satz hat er in seinem Leben schon oft gehört.

Doch mit seinem Kampfgeist, gepaart mit einer charmanten verbalen Schlagfertigkeit hat er manche Skeptiker eines Besseren belehrt.

Punkten mit Praxiserfahrung

Jean Baldo besucht zuerst die Blindenschule Sonnenberg in Baar (ZG), dann gleichenorts die Handelsschule mit KV-Abschluss. Eine gute Ausbildung im Sack zu haben, so Baldo, schien einleuchtend.

Über die Sehbehindertenhilfe Basel kann er bei der Swisscom die Telefonistenschule besuchen. Eine Lehrerin vermittelt ihm das Praktikum im Fünf-Sterne-Hotel Waldhaus in Sils Maria (GR).

Porträt Jean Baldo
Jean Baldo weiss seine Stärken zu nutzen. - zVg

Der aufgestellte Ostschweizer fühlt sich wohl im Job, nimmt skeptischen Mitarbeitern und Gästen bald einmal den Wind aus den Segeln.

«Nur aus Mitleid beschäftigt zu werden, war nie mein Ziel», stellt Baldo denn auch klar. Das Praktikum verläuft zur allgemeinen Zufriedenheit, und so kommt er Saison für Saison wieder ins Waldhaus, freut sich an den Begegnungen mit Stammgästen.

«Ich habe aber bald mal gemerkt, dass ich mehr als nur den Telefonisten-Job machen wollte», sagt Baldo.

2001 wird er trotz anfänglichen Bedenken an der Hotelfachschule Belvoirpark aufgenommen. «Wir mussten uns zuerst einmal zurechtfinden.» Damit meint er neben sich selbst auch die Lehrkräfte und seine Mitschüler.

Das Tempo des Unterrichts ist schnell, er findet aber bei den Kommilitonen Unterstützung – und teilt im Gegenzug sein aus der Praxis gewonnenes Wissen mit ihnen.

Diplom und Weiterbildung

Heute trägt Jean Baldo den Titel «Eidgenössisch diplomierter Restaurateur und Hotelier HF» und ist Ausbildner.

Für die Blindekuh betätigt er sich auch als Guide für die vor fünf Jahren ins Leben gerufenen City Walks – Stadtführungen, bei denen die Teilnehmer Zürich aus der Perspektive einer sehbehinderten Person kennenlernen.

Jean Baldo Wanderung
Jean Baldo hat zahlreiche Hobbies. Beispielsweise wandert er sehr gerne. - zVg

Mit seinem Schicksal, so Baldo, hadere er nicht. Seine Arbeit mache ihm Spass. In seiner Freizeit wandert Jean Baldo, fährt Ski, musiziert, geht auf Reisen.

Nur manchmal, wenn er von A nach B müsse und es kompliziert werde – dann, so blitzt es wieder ein klein wenig wehmütig aus der Frohnatur hervor, würde er schon sehr gerne einfach in ein Auto steigen und losfahren.

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