VW Grand California: Kopfschmerzen, Übelkeit, brennende Augen
Was ist los im VW Grand California? Berichte über gesundheitliche Beschwerden durch chemische Gerüche häufen sich, doch Volkswagen reagiert zögerlich. Déjà-vu?

Der VW Grand California, basierend auf dem Crafter, repräsentiert Volkswagens grösseres Reisemobilmodell, das 2019 auf den Markt kam. Er wurde konzipiert für ausgedehnte Reisen und bietet im Vergleich zum traditionellen California mehr Raum und Komfort.

Schlüsselmerkmale dieses Luxuscampers sind sein Hochdach und der integrierte Wohnbereich, die ihn als Premium-Option im Markt positionieren.
Erste Berichte und öffentliche Wahrnehmung
Kurz nach der Markteinführung des Fahrzeugs begannen Besitzer, einen starken, hartnäckigen chemischen Geruch im Innenraum zu melden, der oft als Bittermandel- oder Marzipangeruch beschrieben wurde. Diese anekdotischen Berichte wurden häufig von Beschreibungen körperlicher Beschwerden und potenzieller Gesundheitssymptome der Insassen, einschliesslich Kindern, begleitet.
Berichtet wurde von Kopfschmerzen, Übelkeit und brennenden Augen, wobei ein Fall sogar Erbrechen bei Kindern im Hochbett des Campers erwähnte. Das Thema erlangte breite öffentliche Aufmerksamkeit durch investigative Berichte, insbesondere des ZDF-Magazins «Frontal».
Diese Berichte warfen Volkswagen vor, bereits vorab Kenntnis von hohen Konzentrationen gefährlicher Innenraumschadstoffe im Grand California gehabt und anschliessend versucht zu haben, das Problem zu verschleiern oder dessen Schwere herunterzuspielen. Dem Konzern wird vorgeworfen, auf einen umfassenden Rückruf verzichtet zu haben.
Die Art des Problems
Flüchtige Organische Verbindungen (VOCs) sind chemische Substanzen, die sich durch niedrige Siedepunkte auszeichnen und bei Umgebungstemperaturen leicht in die Luft verdampfen. In Fahrzeugen werden VOCs aus verschiedenen Materialien freigesetzt, die bei der Herstellung verwendet werden, darunter Kunststoffe, Klebstoffe, Schäume, Lederersatzstoffe, Lacke und Dichtmittel.
Diese Ausgasung ist für den bekannten «Neuwagengeruch» verantwortlich, der, obwohl oft als angenehm empfunden, auf die Anwesenheit potenziell schädlicher Chemikalien hinweisen kann.
Spezifische im Grand California identifizierte Schadstoffe
Interne Volkswagen-Messungen, die später durch Medienrecherchen bekannt wurden, identifizierten mehrere kritische VOCs im Innenraum des Grand California. Als Hauptquelle dieser Emissionen wurde das Glasfaser-Kunststoffdach (GFK-Hochdach) ausgemacht, ein zentrales Bauteil des Campers, dessen Bedeutung dadurch verstärkt wird, dass es häufig als Schlafbereich dient.
Zu den identifizierten Substanzen gehören:
Benzol: Ein anerkanntes Karzinogen.
Styrol: Vom Umweltbundesamt als «möglicherweise krebserregend» eingestuft.
Formaldehyd: Bekannt für seine reizenden Eigenschaften und ebenfalls als «möglicherweise krebserregend» eingestuft.
Benzaldehyd: Ebenfalls in erhöhten Konzentrationen nachgewiesen.
Potenzielle Gesundheitsauswirkungen dieser Substanzen
Die Exposition gegenüber diesen VOCs, insbesondere in hohen Konzentrationen, kann zu einer Reihe von gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Kurzfristige Symptome, die von Nutzern berichtet wurden, umfassen Kopfschmerzen, Übelkeit, brennende Augen, Reizungen der Atemwege, Schwindel und Konzentrationsstörungen.
Eine Langzeitexposition birgt ernstere Risiken, darunter Schäden an inneren Organen wie Nieren, Leber und Nervensystem, sowie ein erhöhtes Krebsrisiko. Kinder und Personen mit Vorerkrankungen gelten als besonders anfällig für diese Schadstoffe.
Die Tatsache, dass das Hochdach, die Hauptquelle der Emissionen, oft als Schlafbereich für Kinder dient, verschärft die Bedenken hinsichtlich der potenziellen Gesundheitsrisiken erheblich.
Volkswagens Massnahmen und Kommunikation
Anstatt eines Rückrufs für die betroffenen Modelle (Modelljahre 2019 bis Frühjahr 2022) versandte Volkswagen nach wiederholten Anfragen lediglich einen «ergänzenden Nutzungshinweis» an die Besitzer. In diesem Hinweis wurde den Kunden geraten, das Fahrzeug bei starkem Geruch zu lüften und es zwischenzeitlich zu verlassen.
Ab Frühjahr 2022 wurde das Dachmaterial in der Produktion mit einer speziellen Innenschicht versehen, um die Emissionen zu reduzieren. Für bereits ausgelieferte Fahrzeuge erfolgte jedoch keine technische Nachrüstung und kein Rückruf.

Volkswagen wies die Vorwürfe zurück und erklärte in einer Stellungnahme, dass sämtliche gemessenen Werte unterhalb der derzeit gültigen Schwellenwerte für unbedenkliche Emissionen liegen würden. Der Konzern betonte, dass es für den Innenraum von Fahrzeugen keine gesetzlichen Grenzwerte gebe und daher aus ihrer Sicht kein Gesundheitsrisiko bestehe.
Dies wird damit begründet, dass es sich um flüchtige Substanzen aus Kunststoffen handele, deren Konzentration stetig abnehme.
Bewertungen durch unabhängige Experten und Verbraucherschutzkanzleien
Unabhängige Experten und Verbraucherschutzkanzleien bewerten die Situation kritisch. Dr. Norbert Weis vom Bremer Umweltinstitut bezeichnete die gemessenen Werte gegenüber dem ZDF als «nicht verkehrsfähig» und würde ein solches Fahrzeug nicht in den Verkauf geben.
Der Umweltrechtler Prof. Dr. Martin Führ von der Hochschule Darmstadt sieht einen klaren Verstoss gegen das Produktsicherheitsgesetz (§§ 3, 6 ProdSG). Ein Fahrzeug mit derart hohen Schadstoffwerten sei kein sicheres Produkt.
Er fordert einen Rückruf oder sogar eine Rücknahme der betroffenen Fahrzeuge. Verbraucherkanzleien wie Dr. Stoll & Sauer und BRÜLLMANN Rechtsanwälte sehen gute Chancen für Schadensersatzansprüche der betroffenen Käufer. Sie argumentieren, dass das Verhalten von Volkswagen als rechtswidrig gewertet werden könnte.