10 Jahre Dieselgate: Juristische Kämpfe & neue Tests

Maia Schmied
Maia Schmied

Bern,

Wie der VW-Skandal um manipulierte Abgastests die Industrie erschütterte. Was ist aus den Klagen geworden? Die juristische Aufarbeitung läuft weiter ...

Konzernhaus Volkswagen
Der Imageschaden durch den Dieselskandal war immens. - Vanellus

Im September 2015 erschütterte die Aufdeckung der Manipulation von Stickoxid-Emissionstests durch den Volkswagen-Konzern das Vertrauen in die deutsche Automobilindustrie fundamental. Dieser als «Dieselgate» bekannt gewordene Skandal betraf Schätzungen zufolge weltweit rund 11 Millionen Fahrzeuge, darunter gängige Modelle von VW, Audi und Porsche.

Der Schock gipfelte im massiven Einbruch des VW-Aktienkurses, dem Rücktritt des damaligen CEO Martin Winterkorn und dem Beginn einer globalen Welle von Strafverfolgungen und Zivilklagen.  

Audi A1
Audi A1 (1.6 TDI, 2.0 TDI) (2009 – 2014): Ebenfalls vom Skandal betroffene Baureihe. (Symbolbild) - Wikipedia

Insbesondere in den USA sah sich Volkswagen zu weitreichenden Vergleichen gezwungen, die sowohl den Rückkauf und die Reparatur betroffener Fahrzeuge als auch umfangreiche Entschädigungszahlungen vorsahen. Allein die Kosten für Audi im Rahmen des US-Vergleichs beliefen sich auf rund 1.2 Milliarden US-Dollar. In der Retrospektive stellt sich die zentrale Frage, inwieweit die ergriffenen Massnahmen – juristisch, regulatorisch und korporativ – das Problem der Realemissionen gelöst haben.

BGH-Grundsatzurteil 2020 zum EA 189

Das erste grosse Kapitel der juristischen Aufarbeitung in Deutschland wurde durch das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 25. Mai 2020 geschlossen. Dieses Urteil bestätigte, dass Volkswagen durch den Einsatz illegaler Abschalteinrichtungen im Motortyp EA 189 das Kraftfahrtbundesamt (KBA) sowie die Verbraucher bewusst und sittenwidrig getäuscht hatte.

BMW 3er
BMW 318d: BMW 3er Reihe der Baujahre 2012 -2014. (Symbolbild) - Jonathan Palombo

Die Feststellung der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§826 BGB) begründete den Schadensersatzanspruch der Betroffenen. Die Konsequenz war in der Regel die Rückabwicklung des Kaufvertrags: Der Käufer erhielt den Kaufpreis erstattet, musste sich jedoch eine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer anrechnen lassen und das Fahrzeug im Gegenzug an den Hersteller zurückgeben.

Zuvor war die erste bundesdeutsche Musterfeststellungsklage gegen den VW-Konzern im Mai 2020 in einem Vergleich für rund 235.000 Betroffene gemündet.

Thermofenster-Problematik: EuGH-Klärung

Nachdem der ursprüngliche Betrug juristisch geklärt schien, verlagerte sich der Streit auf das sogenannte Thermofenster – eine temperaturabhängige Abschalteinrichtung, die die Abgasreinigung ausserhalb eines engen Temperaturfensters drosselt. Die Herausforderung in Deutschland bestand darin, dass diese Abschalteinrichtung oft mit Genehmigung des KBA erfolgte.

S-Klasse: S 300 BlueTEC HYBRID
S-Klasse: S 300 BlueTEC HYBRID / S 300 h (2013 bis 2016). (Symbolbild) - Thomas Doerfer

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) spielte hier eine entscheidende Rolle. Der EuGH bewertete das Thermofenster in Urteilen (unter anderem 2022) klar als illegale und unzulässige Abschalteinrichtung. Diese europäische Bewertung übte massiven Druck auf die deutsche Rechtsprechung aus.

Die Folge war auch, dass Verwaltungsgerichte wie das VG Schleswig im Jahr 2023 und 2024 feststellten, dass die nachträglichen Software-Updates für VW-Modelle rechtswidrig waren.

Das Verjährungsdilemma: Fristen und die Zumutbarkeit der Klageerhebung

Die juristische Aufarbeitung in Deutschland ist noch lange nicht abgeschlossen. Während die meisten Ansprüche im Zusammenhang mit dem ursprünglichen EA 189-Betrug (Verjährungsfrist begann 2016, endete spätestens Ende 2019) verjährt sind, sind die Schadensersatzansprüche wegen des Thermofensters noch nicht verjährt.

Der BGH argumentierte, dass eine Klage für Betroffene erst zumutbar war, nachdem der EuGH im Jahr 2022 die Illegalität des Thermofensters klar bewertet hatte. Die Verjährung begann dementsprechend frühestens 2022.  

Im Jahr 2025 gerät die gesamte Dieselrechtsprechung des BGH seit 2024 durch eine Verfassungsbeschwerde unter Druck. Die juristische Auseinandersetzung dauert also in die zweite Dekade des Skandals hinein und das Risiko einer erneuten Korrektur der Haftungsmassstäbe ist weiterhin latent vorhanden. Trotz des ursprünglichen Giganten-Vergleichs in den USA und der Musterfeststellungsklage in Deutschland konnte die Automobilindustrie somit keinen «Rechtsfrieden» erkaufen.  

Der Dieselskandal jenseits von VW: Stand der Verfahren

Der Skandal betraf nicht nur den VW-Konzern. Eine Vielzahl von deutschen und internationalen Herstellern, darunter Audi, BMW, Daimler/Mercedes, Opel, Fiat, Ford, Porsche, Renault, Seat, Skoda und Volvo, wurden ebenfalls in den Abgasskandal verwickelt.

Im Fall von Mercedes-Benz zeigte sich die erhöhte Haftung: Das Oberlandesgericht (OLG) Köln verurteilte die Mercedes-Benz Group AG im Oktober 2023 wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu Schadensersatz.

Bereits 2022 stellte sich der BGH in einem Verfahren auf die Seite der Verbraucher. Auch in Kreditverträgen von Mercedes-Benz wurden Klauseln als unwirksam erklärt, was zu einer BGH-Niederlage führte.

Die Einführung robuster Testzyklen: Umstellung auf WLTP und RDE

Als direkte Konsequenz beschleunigte das Dieselgate die Initiativen zur Schaffung realistischerer Testverfahren, um die signifikante Diskrepanz zwischen Labor- und Realemissionen zu beseitigen.  

WLTP (Worldwide Harmonized Light Vehicle Test Procedure): Ein neues, global harmonisiertes Labortestverfahren wurde eingeführt, das die grosse Lücke zwischen den im Test gemessenen und den in der Realität auftretenden Emissionen schliessen soll.  

RDE (Real Driving Emissions): Seit September 2017 ist das RDE-Testverfahren für neue Fahrzeugtypen verbindlich. Dies führte zur Einführung eines Strassenmessgrenzwertes, der erstmals im Rahmen der Euro 6d-TEMP/6d-Normen festgelegt wurde. Das Ziel ist es, das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge auf der Strasse zuverlässig zu erfassen und damit die extrem hohen NOx​-Emissionen, die vor RDE bis zu 5.7-mal über dem Euro 6-Limit lagen, deutlich zu senken.  

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