Seit 2004 garantiert ein nationales Gesetz die Gleichstellung für behinderte Menschen. Diesem Gesetz wird bis heute nicht Rechnung getragen. Warum?
Barrierefrei Rollstuhl SBB
20 Jahre werden die Öffentlichen Verkehrsbetriebe Zeit haben, ihre Bahnhöfe und Haltestellen barrierefrei zu gestalten - Keystone
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • 2004 wurde das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) eingeführt.
  • Der ÖV bekam eine Frist von 20 Jahren, um das Gesetz umzusetzen und barrierefrei zu werden
  • Doch auch nach Ablauf der Frist Ende 2023 werden über 200 Bahnhöfe nicht barrierefrei sein

Menschen mit einer Behinderung sind in ihrem Alltag eingeschränkt. Wer in einem Rollstuhl sitzt, braucht oft Hilfe, um den Öffentlichen Verkehr zu nutzen. Wer blind ist, hat keine Chance, sich an visuellen Markierungen und Wegleitungen zu orientieren.

Damit alle Menschen gleiche Möglichkeiten haben, trat 2004 das Behindertengleichstellungsgesetz in Kraft. Es fordert, dass Bahnhöfe und Haltestellen und weitere öffentliche Institutionen behindertengerecht gemacht werden. Weil das nicht von heute auf morgen erledigt ist, sieht das Gesetz eine Umsetzungsfrist von 20 Jahren vor.

Bestandesaufnahme durch den Bund

Ende 2023 laufen diese 20 Jahre ab. Darum hat der Bund nun über den aktuellen Stand der Anpassungen informiert. Der Titel der Bestandesaufnahme klingt realistisch: Noch hat man nicht alles geschafft. Aber noch ist auch nicht 2023.

Der Bund schreibt: «Planung und Umsetzung der behindertengerechten Bahnhöfe kommen voran. Für fristgerechte Realisierung sind zusätzliche Anstrengungen nötig.» Scheinbar sind alle betroffenen Orte auf Kurs, selbst wenn manche einer Extra-Anstrengung bedürfen.

Rollstuhl SBB
Bahnbeamte helfen einer Frau im Rollstuhl aus dem Zug. - Keystone

Gesetz auch nach Frist nicht umgesetzt

Wer aber den gesamten Bericht durchgeht, sieht: Mehr als 200 Bahnhöfe werden auch nach Ablauf der Frist von 20 Jahren nicht barrierefrei sein. Für Menschen im Rollstuhl bedeutet das: Sie werden weiterhin nicht selbstständig reisen können.

Für blinde Menschen heisst es: Sie werden weiterhin zahlreiche Informationen nicht bekommen, weil sie nur visuell markiert sind, nicht aber über eine Ansage kommuniziert werden.

Eine Milliarde für Umbau der Bahnhöfe

Betroffen sind nicht nur kleine Haltestellen, sondern auch grosse Bahnhöfe wie Bern oder Zürich Hauptbahnhof. Dabei hatte die SBB laut eigenen Angaben zwischen 2017 und 2023 rund eine Milliarde Franken vom Bund zur Verfügung gestellt bekommen. Damit sollten bauliche Massnahmen umgesetzt und damit dem BehiG Rechnung getragen werden.

«Das BehiG sieht vor, dass die Mittel der öffentlichen Hand verhältnismässig eingesetzt werden», erklärt die SBB. «An gewissen Bahnhöfen wären bauliche Lösungen nur mit unverhältnismässig grossem finanziellen Aufwand realisierbar.»

SBB Rollstuhl Barrierefrei behindert
An rund 200 Bahnhöfen und Haltestellen in der Schweiz werden Menschen mit Behinderung auch nach 2024 – trotz geltendem Gesetz – den öffentlichen Verkehr nicht selbstständig benutzen dürfen. - Keystone

Selbstständigkeit genommen

Deshalb erlaube das BehiG unter bestimmten Voraussetzungen auch Ersatzmassnahmen. Das trifft laut SBB bei rund 68 Bahnhöfen und Haltestellen zu. Sie werden gar nicht barrierefrei gemacht.

Hilfsmassnahmen wie Hebe-Vorrichtungen und mobile Rampen sollen es Menschen mit Behinderung dennoch erlauben, den öffentlichen Verkehr zu nutzen. «Allerdings», sagt ein Betroffener, «wird uns damit wieder jegliche Selbstständigkeit genommen. Die Massnahmen können wir ja nicht selber bedienen.»

Die SBB beruhigen, dass mit Fertigstellung aller baulichen Massnahmen nur noch rund ein Prozent aller Pendler mit barrierelosen Bahnhöfen und Haltestellen konfrontiert sein wird.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

GleichstellungSBBFrankenGesetz