Lara Gut-Behrami gesteht: «Ein Radio-Beitrag hat alles verändert»
«Ich habe nie wahrhaben wollen, wie stark mich Dinge verletzt haben», sagt Lara Gut-Behrami im Rückblick. Aber auch: «Ich sehe mich nicht als Opfer.»

Das Wichtigste in Kürze
- Lara Gut-Behrami mit einem Kreuzbandriss aus – ob sie nochmal zurückkommt, ist offen.
- Die 34-Jährige hatte in ihrer Karriere oft zu kämpfen – auch mit Medienberichten.
- Sie betont: «Mir bleibt Dankbarkeit gegenüber denen, die mich immer unterstützt haben.»
In St. Moritz startete Lara Gut-Behrami vor fast 18 Jahren zu ihrem ersten Weltcup-Rennen. Sensationell erreichte sie in der Abfahrt mit der Bestzeit den Zielhang und stürzte. Bäuchlings überquerte sie die Ziellinie – trotzdem reichte es fürs Podest.

In dieser Woche hätte sich die 34-Jährige von St. Moritz, dem Ort ihres ersten grossen Triumphs, verabschieden sollen. Er als Abschiedssaison geplante Olympia-Winter endete für sie durch einen Kreuzbandriss nach einem Trainingssturz früh.
Rückschläge und hoher Druck bei Lara Gut-Behrami
Es ist nicht der erste verletzungsbedingte Rückschlag ihrer Karriere. 2009 verletzte sie sich im Training an der Hüfte und verpasste die Olympischen Spiele in Vancouver. 2017 stürzte sie bei der Heim-WM in St. Moritz und riss sich zum ersten Mal das Kreuzband.

Damals habe sie aber beinahe Erleichterung gespürt, verrät Gut-Behrami im Gespräch mit «Das Magazin». Der Druck sei abgefallen, erklärt sie – «endlich war alles vorbei».
Die Tessinerin blickt zurück: «Ich hatte stets die Sportlerin vor den Menschen gestellt.» Das habe sich nach der Verletzung geändert. Auch, weil sie in der Reha ihren heutigen Ehemann Valon Behrami kennenlernte.

Sie, die einst als Vorreiterin einen Facebook-Account eröffnete, zog sich in der Folge von Social Media zurück. Sie betont: «Mir ist bewusst, dass ich daheim die Küche neu bauen könnte, mit drei Posts auf Social Media.»
Aber dadurch hätte sie weniger Ruhe: «Es wäre nicht mehr das Leben, das mir gehört und mit dem ich mich wohlfühle.»
Gut-Behrami: «Wollte nicht wahrhaben, wie empfindlich ich war»
Auch Interviews gab Lara Gut-Behrami im Verlauf der Jahre immer seltener. Das liegt auch an ihren Erfahrungen mit der Medienwelt. Sie gibt zu: «Ich habe nie wahrhaben wollen, wie stark mich Dinge verletzt haben. Oder wie empfindlich ich war.»

Gegenüber «Das Magazin» schildert sie ein prägendes Erlebnis: «Ich sass in der Küche, meine Mutter hatte das Radio an. Ich hörte die Stimme einer bekannten Tessiner Sportjournalistin. Sie fragte, ob es richtig sei, dass Swiss-Ski die Wünsche verwöhnter Kinder akzeptiert.»
Für sie sei das ein riesiger Schock gewesen. «Meine Wahrnehmung von dem, was ich bin, von dem, was ich mache, hat sich an diesem Tag verändert. Ich habe angefangen, misstrauisch zu werden.» Niemand habe sie geschützt.
Lara Gut-Behrami hatte früh eigenes Team
Hintergrund der Kritik: Die junge Lara Gut-Behrami kapselte sich ein Stück weit vom Swiss-Ski-Apparat ab und finanzierte ein eigenes Team. Rund 500000 Franken pro Jahr aus Sponsoring und Preisgeldern waren dafür nötig.

«Ich fühlte mich in eine viel zu grosse Welt katapultiert. Ich habe nur gekämpft, um Ruhe zu haben. Das ist schlecht angekommen.» Der Wert ihrer Familie sei besonders auch in dieser Zeit enorm gewesen. «Durch sie habe ich den Weg zur Heilung gefunden.»
Vater Pauli Gut förderte die kleine Lara schon als Kind. Er gründete den Skiclub Sporting Gottardo und errichtete auf dem Walliser Griesgletscher sogar eigene Pisten für seine Tochter. Fünf Jahre lang trainierte Lara im Sommer mit ihrem Vater auf dem Gletscher.
Papa als Trainer – «das ist wunderschön»
Sie sagt: «Er hat mich unterstützt und viel geopfert. Aber er hat mich nie gedrängt – er wollte, dass ich meinen eigenen Weg finde.» Aber auch «ohne Mama wäre nichts möglich gewesen.» Die elterliche Unterstützung sei riesig gewesen.

Noch heute ist Vater Pauli ihr Trainer. Er war bei jedem Training und jedem Rennen dabei – niemand kennt Lara besser. «Wir haben zwanzig Jahre miteinander gearbeitet. Das macht mich stolz. Wir erleben etwas zusammen, das ist wunderschön.»
Mauro Pini kam zwischenzeitlich als zweiter Trainer dazu, verliess sie aber für das Swiss-Ski-Herrenteam. «Das hat weh getan. Aber es hat auch geholfen, zu sehen, wer wirklich mit dem Herzen dabei ist.»
Zu den «Magazin»-Autoren
Die beiden «Das Magazin»-Autoren haben Lara Gut-Behrami ein Jahr lang begleitet und befragt. Ursina Haller ist ehemalige Snowboarderin (WM-Silber) und Christof Gertsch ist Co-Autor der Biografien von Ariella Kaeslin und Fabian Cancellara. Der Berner hat mehrere Auszeichnungen – unter anderem «Journalist des Jahres» 2022 – gewonnen.

Trotz allem ist für sie klar: «Ich fühle mich nicht als Opfer.» Die Erlebnisse hätten aus ihr gemacht, wer sie heute ist. «Mir bleibt Dankbarkeit gegenüber den Leuten, die mich immer unterstützt haben. Ich weiss jetzt, dass mich viele Menschen immer begleitet haben – auch Fans.»
Gut-Behrami: «Ich mache es für die Freiheit»
Sie liebt das Skifahren, betont sie. «Ich mache es für die Freiheit. Wenn eine Kurve stimmt, fühlt sich alles so einfach an – das ist immer geblieben.»

Das Gefühl sei letztlich das, was ihr beim Rückblick auf die Karriere am wichtigsten sei: «Es ist nicht das Olympiagold, das dem Ganzen einen Sinn gibt. Nicht die Medaillen, Titel oder Siege.»
Ob sie wieder Rennen fahren wird, will Lara Gut-Behrami erst nächstes Jahr entscheiden. Klar ist für sie: «Früher war Skifahren der Sinn. Heute hat das Leben eine andere Bedeutung.»








