Auch ohne den Turniersieg überzeugt Deutschlands U21 bei der Europameisterschaft. Bundestrainer Löw und DFB-Direktor Bierhoff schwärmen vom Team und Trainer Kuntz. Der erfrischende Auftritt macht Hoffnung für die Zukunft des deutschen Fussballs. Löw warnt aber auch.
Trotz einer guten EM überwiegt bei den deutschen Spielern nach der Niederlage im Finale die Enttäuschung. Foto: Cezaro De Luca
Trotz einer guten EM überwiegt bei den deutschen Spielern nach der Niederlage im Finale die Enttäuschung. Foto: Cezaro De Luca - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Beim nächtlichen Bankett konnten Bundestrainer Joachim Löw und U21-Coach Stefan Kuntz bei allem Final-Frust auf viele gute Erkenntnisse für den Umbruch im deutschen Fussball anstossen.

Obwohl die deutschen U21-Fussballer die Titel-Krönung verpassten, bleibt viel Positives von der Europameisterschaft. «Das Turnier war klasse von diesen Jungs, das war ein geiles Turnier. Sie haben wirklich als Mannschaft hervorragend funktioniert und eine tolle Visitenkarte abgegeben», schwärmte Löw, der die Nachwuchsauswahl um Torschützenkönig Luca Waldschmidt «im Fokus» hat.

Im gedämpften Licht auf der Terrasse des Teamhotels huschte Kuntz bei seiner Ansprache trotz aller Enttäuschung sogar wieder ein kleines Lächeln über das Gesicht. «Es hängt zwar Silber um den Hals, aber ihr bringt Gold in mein Herz», sagte der 56-Jährige und erntete lautstarken Beifall. Trösten konnte das Torhüter Alexander Nübel, der sich einen folgenschweren Fauxpas leistete, in diesem Moment nicht.

«Von Herzen» wünsche er seinen scheidenden Spielern eine Zukunft im Löw-Team, sagte Kuntz. Den Stolz über torreiche Turniertage drückte der hoch gelobte Trainer gleich nach dem 1:2 (0:1) im Endspiel gegen Spanien noch auf dem Platz aus. «Was ihr in den letzten Wochen für Deutschland gemacht habt, das haben so viele noch nicht gemacht. Ich kann nur sagen, ich ziehe den Hut», rief er seinen Jungstars zu. Das gebuchte Olympia-Ticket weckt schon Vorfreude auf die Spiele in Tokio im kommenden Jahr, wenn eine neuaufgebaute U23 starten wird. Danach endet Kuntz' Vertrag, der Begehrlichkeiten geweckt hat und als ein möglicher Nachfolge-Kandidat für Löw am Tag X gehandelt wurde. Kuntz habe «absolut die Fähigkeiten» dazu, sagte Löw der «Bild».

Die Chancen auf weitere Einsätze seiner Jungs in der A-Nationalmannschaft stehen nicht schlecht. Ein Jahr nach dem WM-Debakel der Nationalmannschaft weckte die U21 mit ihrem mutigen und erfrischenden Spiel neue Hoffnungen für die Zukunft des deutschen Fussballs. Leroy Sané, der bei der EM in Italien und San Marino noch spielberechtigt gewesen wäre, oder der 2017er Europameister Serge Gnabry sind schon jetzt Gesichter des Umbruchs. «Wir haben eine gute Breite in diesen Jahrgängen, 95, 96, 97. Da sind wir sehr, sehr gut aufgestellt und ich glaube, dass die alle ihren Weg machen werden», prognostizierte Löw.

Nach zwei gemeinsamen Jahren war vor allem für Coach Kuntz beim letzten gemeinsamen Abend mit seinen Spielern viel Wehmut dabei. Er wolle sich «in Ruhe» von allen Profis verabschieden, kündigte der 56-Jährige an. «Wir können hier mit ganz breiter Brust raus, wenn man sieht, was die Jungs für eine Entwicklung gemacht haben. Hut ab, da kann man als Trainer echt nur stolz sein.»

In den Abschiedsschmerz mischten sich bei Kuntz und seinen Profis daher auch Vorfreude auf die Zukunft. «Wir haben ein tolles Turnier gespielt, die Spieler haben ganz viele Schritte nach vorne in ihrer persönlichen Entwicklung gemacht. Davon können Sie für den Rest ihrer Karrieren profitieren», sagte Kuntz, der ein «Riesenpaket an Erfahrungen und Verbesserungen» sah. DFB-Direktor Oliver Bierhoff hofft auf eine Erfolgsgeschichte, wie sie vergangene Jahrgänge erlebten. «Für die Spieler bleibt eine tolle Erfahrung, eine Turniererfahrung, die sie hoffentlich als Spieler auch weiterbringt», sagte Bierhoff. «Die Mannschaft hat ein super Bild abgegeben.»

Löw machte den U21-Profis Hoffnung auf Karrieren in der A-Nationalmannschaft. «Der Umbruch, der dieses Jahr auch bei uns begonnen hat, hat das Ventil zur U21 noch mal ein bisschen geöffnet», sagte er. «Es ist sehr erfreulich, wie einige Spieler sich entwickelt haben.» Kapitän Jonathan Tah, Lukas Klostermann, Benjamin Henrichs und Maximilian Eggestein wurden aus der EM-Mannschaft bereits von Löw nominiert, weitere Profis wie Stürmer Waldschmidt oder Mittelfeldspieler Florian Neuhaus dürften in Zukunft folgen.

Schon häufiger ebneten gute Leistungen in den Junioren-Nationalteams den Weg zur A-Elf, so etwa bei den späteren Weltmeistern wie Manuel Neuer, Mesut Özil, Mats Hummels, Jérôme Boateng und Sami Khedira, die 2009 in der U21 den Titel feiern konnten. «Bis zum ganz grossen Adler ist es schon noch ein Stückchen. Ein paar haben ja schon dran geschnuppert und werden das sicherlich durch dieses Turnier eher untermauert als sich versaut haben», sagte Kuntz mit Blick auf die Perspektiven seiner Jungs. «Es war ein aussergewöhnlicher Jahrgang.»

Für die Spieler überwog bei allen netten Worten aber die Enttäuschung. Nach Gegentoren durch Fabián Ruiz (7. Minute) und Dani Olmo (69.) kam der Anschluss durch Nadiem Amiri (88.) trotz guter Leistung zu spät. «Das schmerzt brutal», sagte Waldschmidt, der mit sieben Treffern EM-Torschützenkönig wurde. Bei einigen Spielern wie Henrichs flossen sogar Tränen.

Löw mahnte trotz aller Freude über die guten Leistungen an, mit Blick auf die Zukunft des deutschen Fussballs «realistisch» zu bleiben. «Die Jahrgänge dahinter, da sind wir in der Breite nicht so gut aufgestellt, wir müssen uns schon Gedanken machen», sagte er. «Die jüngeren Jahrgänge haben zuletzt nicht so viel gewonnen und auch nicht so gespielt, wie man es sich vielleicht wünscht.»

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