Die Aufnahmen eines Schweizer Hobbyfilmers bringen pikante Details zum Seilbahn-Unglück in Stresa ans Licht. Nau.ch konnte mit dem Seilbahn-Fan sprechen.
Seilbahn Fan
Seilbahn-Fan Michael Meier hat die Seilbahn auf den Monte Mottarone bereits mehrfach gefilmt. - Screenshot ZDF

Das Wichtigste in Kürze

  • Bei Stresa (I) stürzte am 23. Mai eine Gondel ab und forderte 14 Todesopfer.
  • Nun prüft die Staatsanwaltschaft Aufnahmen eines Schweizer Hobbyfilmers.
  • Dieser spricht bei Nau.ch von einem «absoluten Glückstreffer».
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Ein Schweizer Hobbyfilmer findet die Nadel im Heuhaufen. Besser gesagt, die Gabel. Wie das ZDF gestern Dienstag publik machte, wurde die Notbremse der abgestürzten Seilbahngondel am Lago Maggiore möglicherweise schon vor Jahren manipuliert.

Der mutmassliche Beweis: Die Aufnahmen des Seilbahn-Fans Michael Meier. Dieser filmt als Hobby Seilbahnen, Zahnradbahnen oder Skilifte auf der ganzen Welt und lädt die Videos auf seinen Youtube-Kanal. In seinem Archiv stiess Meier auf Videos, in denen er schon 2014 und 2018 den Regelbetrieb der Mottarone-Seilbahn gefilmt hatte.

Darauf zu erkennen: Die Forchettone, die Gabeln, um die Notbremse ausser Kraft zu setzen. Und das also bereits vor Jahren!

Gondelbahn Stresa
Hobbyfilmer Michael Meier zeigt im «ZDF» seine Aufnahmen der Seilbahn in Stresa aus den Jahren 2014, 2016 und 2018.
Stresa
Bereits damals waren die Gabeln an den Notbremsen montiert.
seilbahn stresa unglück
Hier ersichtlich ist die rote Gabel an der Unfallstelle, die die Notbremse daran gehindert hat, zu funktionieren.

Das ZDF leitete die Aufnahmen der ermittelnden Staatsanwaltschaft in Stresa (I) weiter. Diese prüft die Videoaufnahmen, wie die ermittelnde Staatsanwältin heute gegenüber der Nachrichtenagentur Ansa bestätigt. Sie könnten den entscheidenden Beweis liefern, dass die Seilbahn-Betreiber die Notbremse bewusst seit Jahren ausser Kraft gesetzt hatten.

«Das Unglück hat mich sehr erschüttert, es ist ein Schlag ins Gesicht. Nicht nur, dass es passiert ist, sondern auch wie es passiert ist», sagt Meier heute zu Nau.ch am Telefon.

Seilbahn Italien
Der Schweizer Hobbyfilmer Michael Meier könnte mit seinen Aufnahmen die Seilbahn-Betreiber schwer belasten. - Screenshot ZDF

Der Hobbyfilmer besitzt nach eigenen Angaben 300'000 eigene Fotos und über 50'000 eigene Videos von Seilbahnen auf der ganzen Welt. «Die Aufnahmen der Forchettone sind ein absoluter Glückstreffer.»

Doch Meier betont, er wolle kein Urteil über seinen Glücksfund fällen. Die Ermittlungen liegen in den Händen der Staatsanwaltschaft. «Ich habe daran auch nichts verdient, es geht mir vielmehr darum, dass ich wie alle anderen Seilbahn-Gäste einen sicheren Transport erwarte.»

«Jeder schwärmt von den Ferien am Lago Maggiore!»

Doch was genau hat Meier auf seinen Archivaufnahmen gefunden? «Sie müssen sich das wie Wäscheklammern vorstellen: Diese müssen Sie ja zudrücken, damit sie offen bleiben.» Die Fangbremse der Seilbahn funktioniere mit demselben Prinzip: «Das Klämmerli ist offen, solange das Seil gespannt ist. Sobald es schlaff wird, schnappt das Klämmerli zu und hält die Kabine am Tragseil fest.»

In Italien sind solche Forchettone für Dienst und Leerfahrten ohne Fahrgäste zulässig. Nicht aber, wenn sich Passagiere in den Gondeln befinden.

Das Video mit Archiv-Aufnahmen der Mottarone-Seilbahn wurde bereits tausendfach angeschaut.

Wie seine Aufnahmen zeigen, waren diese Forchettone schon 2014 montiert. «Dies zu erkennen, war gar nicht so einfach, da sie damals grau lackiert waren.» Auf den Fotos der Unfallstelle am Monte Mottarone sind sie rot gefärbt.

Dass Meier genau jene Seilbahn gefilmt hatte, die wegen der Tragödie nun weltweit in die Schlagzeilen geraten ist, ist hingegen kein Zufall. «Die Bahn liegt nahe der Schweiz, hat eine tolle Aussicht. Jeder schwärmt von den Ferien am Lago Maggiore!»

Schwere Vorwürfe gegen Seilbahn-Betreiber

Der Hobbyfilmer hat selber über mehrere Jahre in der Seilbranche gearbeitet. «Seilbahnen sind etwas Geniales, mit einem Minimum von Aufwand überwindet man riesige Höhendistanzen.»

Seilbahn Experte
Ein Schweizer Seilbahnexperte ist bestürzt über die Geschehnisse in Stresa. - Screenshot ZDF

Dennoch war es Meier wichtig, dass ein Experte die Aufnahmen sichtet. ZDF liess Gabor Oplatka, den ehemaligen Leiter Seilbahntechnik der ETH Zürich, die Aufnahmen zukommen. Sein Urteil ist deutlich: «Ich bin bestürzt und empört, und habe null Verständnis dafür. Offensichtlich hat man das praktiziert und bis jetzt Glück gehabt.»

Fühlen Sie sich nach dem Unglück in Stresa (I) auch in Schweizer Gondeln weniger sicher?

In den italienischen Medien wird spekuliert, die Betreiber hätten die Gabeln eingesetzt, da die Notbremse in der Vergangenheit immer wieder ohne Grund ausgelöst wurde. Doch noch hat die Staatsanwaltschaft kein Urteil gefällt. Auch nicht darüber, wie es zum Riss des Seils kam und der Gondelabsturz 14 Menschenleben forderte.

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