Neuhaus: «Freue mich, ein paar Verhaltensoriginelle loszuwerden»
Seit April 2008 ist Christoph Neuhaus (SVP) Berner Regierungsrat. Im Mai ist nun Schluss.

BärnerBär: Christoph Neuhaus, fahren Sie eigentlich noch mit dem Auto durch Bern?
Christoph Neuhaus: Ja, es ist halt einfach eine Art Abenteuer. Links und rechts flitzen Velos mit einer Kamikaze-Grundhaltung an einem vorbei, die Ampel wechselt nach ein paar Sekunden gleich wieder auf Rot, plötzlich findet man sich in einer Einbahnstrasse wieder … kurz gesagt: Ich rate allen Autolenkerinnen und -lenkern, Bern grossräumig zu meiden.
BärnerBär: Bern ist für den motorisierten Individualverkehr zu einer No-Go-Area geworden?
Christoph Neuhaus: Die Stadt soll zu einer werden. Rot-Grün möchte sämtliche Autos verbannen. Es sind Ideologien vorhanden, die das Denken ersetzen, den Blick vernebeln und vor allem keine Lösungen für die Zukunft bringen.
BärnerBär: Wo ist denn aus Ihrer Sicht der Platz des Autos in einer Metropole?
Christoph Neuhaus: Fakt ist: Etliche Menschen sind auf das Auto angewiesen. Handwerkerinnen und Handwerker steigen selten mit vier Kübeln Farbe und einer Leiter ins Tram. Und dann wird in der Unteren Altstadt geflucht, dass dort fast keiner mehr einkauft, weil die Waren der dort ansässigen Läden schwierig zu transportieren, aber keine Parkplätze vorhanden sind. Nun, diese Grundhaltung wird von einer Mehrheit der Bevölkerung geteilt.

BärnerBär: Sie klammern aus, dass Gewerbeverkehr in der Unteren Altstadt explizit erlaubt ist.
Christoph Neuhaus: Das stimmt. Was beweist: Auch Politik kann dazulernen (schmunzelt).
BärnerBär: Derzeit wird eine hitzige Debatte über Tempo 30 in den Städten geführt: Der Bund will deren Einführung erschweren, im Kanton Bern verlangt der Grosse Rat ein Moratorium von Tempo-30-Zonen.
Christoph Neuhaus: Der Vorstoss befindet sich in der Vernehmlassung, deshalb kann ich zurzeit nicht allzu viel dazu sagen. Meines Erachtens ist jede Strasse individuell zu betrachten: Wo bestehen Gefahren, wo machen Tempo-30-Zonen Sinn, wo nicht? Pragmatismus statt Ideologie.
BärnerBär: Verfolgen Sie als Verkehrsdirektor eine übergeordnete Strategie, wo welches Tempo gelten soll?
Christoph Neuhaus: Auf sogenannten verkehrsorientierten Strassen muss der Verkehr zirkulieren. Denn sind die Autobahnen verstopft, landen die Autos in den Dörfern.
BärnerBär: Links-Grün würde Ihnen entgegnen, es brauche intelligente Lösungen statt einfach mehr Strassen.
Christoph Neuhaus: Zahlreiche Menschen im Kanton Bern sind mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs. Die Lebensrealität des Cargo-Velos zwischen Muri und der Altstadt stimmt für einige, jedoch längst nicht für alle. Man darf jene, die im LKW sitzen, mit dem Zug pendeln oder mit dem Tram zur Arbeit fahren, nicht gegeneinander ausspielen.
BärnerBär: Gemeinderat Matthias Aebischer bezeichnet sich selbst als «Parkplatzabbauspezialist». Wie viele Parkplätze benötigt Bern tatsächlich?
Christoph Neuhaus: Der Entwicklungsschwerpunkt Wankdorf lebt vom Verkehr, weil er nahe der Autobahn liegt. Nochmals: Das Stadtgebiet sollte differenziert betrachtet werden. Es bringt wenig, einfach Parkplatzhasser oder -befürworter zu sein. Die Sache ist komplexer, Autos werden kontinuierlich leiser und sauberer.
BärnerBär: Wie würden Sie die Situation des Privatverkehrs im Kanton Bern generell einschätzen?
Christoph Neuhaus: Im Kanton existieren 335 Gemeinden, über 30 davon verfügen über keinen ÖV – schlicht, weil ÖV dort keinen Sinn macht. Vor diesem Hintergrund wehre ich mich dagegen, jeder dieser Gemeinden ein universell gültiges Konzept überstülpen zu wollen.
BärnerBär: Wie sind Sie selbst hauptsächlich unterwegs?
Christoph Neuhaus: Nicht mehr so oft mit dem Velo, dafür umso häufiger ÖV, zu rund 80 Prozent mit Bahn und Bus. Als Regierungsrat habe ich ja keine Lättli und Leitern zu tragen (lacht).
BärnerBär: Sie stehen also nie im Stau?
Christoph Neuhaus: Doch, ab und zu. Interessant zu beobachten ist, dass es gerade am Wochenende sehr oft stockt. Der Freizeitverkehr hat in letzter Zeit massiv zugenommen: auf der Strasse wie auf der Schiene. Als Baudirektor ist es wichtig zu beobachten, was die Transportunternehmen mit dem Geld des Kantons anstellen – auch deshalb fahre ich viel mit dem ÖV (lacht).
BärnerBär: Ist das Berner Strassennetz am Anschlag?
Christoph Neuhaus: Ja, teilweise sogar darüber. Deswegen müssen die Kapazitäten Richtung Emmental und rund um Aarwangen ausgebaut werden. Nur kommt dann gleich das grosse Aber: Es gibt Leute, die schlicht aus Prinzip gegen den Ausbau sind. Es wird behauptet, mehr Strassen hätten mehr Verkehr zur Folge. Das ist mir zu einfach, schliesslich wohnen immer mehr Leute in diesem Land.
BärnerBär: Apropos «aus Prinzip dagegen sein»: Das ist doch ein Markenzeichen der SVP.
Christoph Neuhaus: Solche Exponenten finden sich auch in unserer Partei. Ideologen gibt es links wie rechts. Sehr unterhaltsam für die Medien, für Lösungen allerdings komplett unbrauchbar.
BärnerBär: Andreas Glarner und Tamara Funiciello sind hauptsächlich zur Show da?
Christoph Neuhaus: Zwei Namen, bei denen ich mir unsicher bin, ob sie die Schweiz vorwärtsbringen (schmunzelt).
BärnerBär: Bei Ihrem Rücktritt Ende Mai 2026 sind Sie über 18 Jahre im Amt.
Christoph Neuhaus: Und dann ist der Ofen aus.
BärnerBär: Sie hätten gerne weitergemacht?
Christoph Neuhaus: Ja, vier oder gar acht Jahre wären schön gewesen (lacht). Aber es hat alles seine Zeit. In Bern sind die Friedhöfe voll von «unersetzlichen» Menschen. Die frustrierende Erkenntnis ist, dass es ohne mich gehen wird.
BärnerBär: Ich bin unersetzlich – diese Haltung hatten Sie nie?
Christoph Neuhaus: Nein. Ich sitze derzeit auf einem Sockel aus Marmor, an dem noch ein bisschen Blattgold dran ist. Dann wird es erneuert und jemand Neues tritt an meine Stelle. Sie kennen den Witz vom Unterschied zwischen dem lieben Gott und einem Berner Regierungsrat?
BärnerBär: Nein.
Christoph Neuhaus: Haben Sie den lieben Gott schon mal sagen hören, er sei Berner Regierungsrat? Als junger Journalist fuhr ich für die «Solothurner Zeitung» für ein Interview mit dem damaligen Bundesrat Kurt Furgler an die BEA nach Bern. Furgler umarmte für das Foto ein junges Säuli. Ein Bild, das mir in Erinnerung blieb: Es ist alles nur gemietet. Mir ist wichtig, dann zu gehen, wenn ich noch Freude an der Sache habe.

BärnerBär: Trotzdem dürfte Sie Ende Mai die Wehmut packen.
Christoph Neuhaus: Es wird ein wenig Trennungsschmerz geben, klar.
BärnerBär: Feiern Sie den Abgang mit Ihren Angestellten?
Christoph Neuhaus: Ich werde mich sicher irgendwie verabschieden. Zuvor tue ich aber mein Möglichstes, um meinen Bürotisch zu leeren respektive Pendenzen abzuarbeiten. Gefallen muss ich jetzt ja niemandem mehr.
BärnerBär: Bald dürfen Sie in den sozialen Medien endlich nach Herzenslust draufloswettern. Das taten Sie zwar bisher schon ab und zu, nun können Sie das völlig ohne Scham tun.
Christoph Neuhaus: Ich versuche mich zusammenzureissen. Ich möchte eigentlich eine Leserbrief-GmbH gründen, bloss habe ich bis jetzt niemanden gefunden, der bereit ist, diese Briefe zu publizieren (lacht). Im Ernst: Ich will mich nicht zu ernst nehmen.
BärnerBär: In der Retrospektive: Was gelang Ihnen gut?
Christoph Neuhaus: Vieles lag gar nicht in meinen Händen. Nehmen wir das Thema Blausee: Die Linke forderte vor fünf Jahren eine PUK, um aufzudecken, was alles in die Hose ging. Vor kurzem war nun zu lesen, dass der Staatsanwalt das Verfahren eingestellt hat. Gäbe es einen Local Press Award für Berichterstattung, sollte er mir überreicht werden, denn das Amt für Wasser und Abfall ist in meiner Zuständigkeit (lacht).
BärnerBär: Was ging komplett schief?
Christoph Neuhaus: Wir hätten die Verkehrssituation in Biel gerne anders geregelt. Das ist allerdings eine Entscheidung der Bieler Bevölkerung – als Demokrat nehme ich das zur Kenntnis.
BärnerBär: Sie wissen noch nicht, was Sie nach Ihrer Amtszeit tun?
Christoph Neuhaus: Keine Ahnung. Ich bin unter anderem Präsident des Zuchtverbands Schweizer Sportpferde – damit in meinem Leben Spannung und Ärger bestehen bleiben.
BärnerBär: Kein politisches Amt mehr?
Christoph Neuhaus: Eher nicht.
BärnerBär: Was wird Ihnen am meisten fehlen?
Christoph Neuhaus: Die Menschen und der Austausch mit ihnen. Gleichzeitig freue ich mich darauf, ein paar Verhaltensoriginelle loszuwerden.
BärnerBär: Freuen Sie sich aufs Ausschlafen?
Christoph Neuhaus: Als Journalist verdrückte ich immer eine Träne, wenn ich vor 9 Uhr morgens arbeiten musste. Mittlerweile erwache ich um 6 oder halb 7 von selbst – vielleicht ist es die viel zitierte senile Bettflucht.
BärnerBär: Was tun Sie am 1. Juni morgens, einen Tag nach Ihrem Abgang?
Christoph Neuhaus: Puuh … (überlegt) Überhosen anziehen, draussen ein Ross umarmen, die Hühner füttern und mit dem Hund spazieren gehen.