Die attraktiven Bedingungen in der Stadt locken Personal und Familien an. Im Baselbiet droht ein Kita-Notstand. Was wird Regierungsrätin Kathrin Schweizer tun?
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So verworren die Situation sein mag: Kita-Leiterin Rahel Jäger kämpft weiter. - OnlineReports.ch / Alessandra Paone

Das Wichtigste in Kürze

  • Baselbieter Kitas fühlen sich vom revidierten städtischen Tagesbetreuungsgesetz bedroht.
  • Dieses bietet Eltern und Mitarbeitenden in Basel-Stadt deutlich bessere Konditionen.
  • Was wird Regierungsrätin Kathrin Schweizer gegen ein drohendes Kita-Sterben tun?
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Ein Mädchen spielt im Sandkasten, zwei Buben düsen mit dem Dreirad über den Platz. Es ist ruhig an diesem Freitagmorgen in der Kita Zwärgehuus in Zunzgen. Wie oft vor den Ferien.

Es habe zwar noch freie Plätze, aber im Grossen und Ganzen sei die Kita gut belegt, sagt Rahel Jäger. Ihr gehört das Zwärgehuus; sie hat es vor 19 Jahren gegründet. Es war die erste Kita in Sissach und Umgebung.

Zusammen mit ihrem Team hat sie 2019 einen finanziellen Engpass und kurz darauf Corona überstanden. Mit zwölf Angestellten und drei Lernenden sei die Kita gut aufgestellt, sagt Jäger. Die Frage ist nur: Wie lange noch?

Jäger macht sich Sorgen um die Zukunft ihres Betriebs. Weil die Kitas in ländlichen Gebieten grundsätzlich um jeden Franken kämpfen müssen. Aber vor allem auch, weil im August in Basel-Stadt das revidierte Tagesbetreuungsgesetz in Kraft tritt.

Damit werden dort die Kitagebühren für Eltern massiv reduziert, bei gewissen Einkommen sogar halbiert. Und die Mitarbeitenden erhalten denselben Lohn wie die Angestellten der schulinternen Tagesstruktur-Einrichtungen.

Lohn bei jungen Leuten entscheidend

Die Anpassungen im Stadtkanton sind auf die Kita-Initiative der SP zurückzuführen. Diese forderte eine kostenlose Kinderbetreuung für alle Familien. Die Regierung hat einen Gegenvorschlag ausgearbeitet, den der Grosse Rat nach Korrekturen der Bildungs- und Kulturkommission im vergangenen Herbst gutgeheissen hat.

Jäger befürchtet, dass das Personal der Baselbieter Kitas wegen der besseren Bedingungen in die Stadt abwandert. Es sei jetzt schon nicht ganz einfach, die Mitarbeitenden zu halten oder vakante Stellen zu besetzen. «Insbesondere bei jungen Leuten ist der Lohn entscheidend. Wenn sie anderswo mehr verdienen, gehen sie», sagt Jäger.

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Kinder in einer Kita. (Symbolbild) - AFP/Archiv

Einer ihrer Lernenden hat nach dem Abschluss eine Stelle als Klassenassistenz im Bereich der Integrativen Schulischen Förderung an einer Sekundarschule angenommen. «Ich kann es ihm nicht verübeln: Er verdient mehr und hat bessere Arbeitszeiten.»

Wie in Basel-Stadt hat die SP auch in Baselland eine Kita-Initiative eingereicht. Und auch hier wird es einen Gegenvorschlag der Regierung geben – wenn auch gegen deren Willen und gegen jenen der SVP und der FDP. Ganz knapp, mit nur einer Stimme Unterschied, hat sich der Landrat im Januar 2023 dafür ausgesprochen.

Jäger: «Wenn wir nichts unternehmen, werden viele Kitas schliessen müssen»

Die zuständige Sicherheitsdirektion mit SP-Regierungsrätin Kathrin Schweizer wird den Gegenvorschlag in einem umfassenden Projekt, das auch die Situation in der schulergänzenden Betreuung analysiert, zusammen mit den Gemeinden erarbeiten. Wann die Vorlage in den Landrat kommt, ist unklar. Die Volksinitiative der SP ist jedenfalls bis August 2025 sistiert.

Bis zum Entscheid und einer allfälligen Umsetzung können mehrere Jahre vergehen. So lange will Jäger aber nicht warten. «Wenn wir nicht etwas unternehmen, werden viele Kitas schliessen müssen», sagt sie.

Gemäss dem kantonalen Amt für Kind, Jugend und Behindertenangebote gibt es in Baselland knapp über 100 bewilligte Kitas mit rund 3050 Plätzen. Davon befindet sich der grösste Teil im Bezirk Arlesheim.

Jäger hat nun zusammen mit Céline Affolter von der Kita Kunterbunt in Pratteln, Monika Bitterli vom Verein Familea, Adrian Moll von Familycare und Patricia Strebel von der Stiftung Sunnegarte in Arlesheim die Kita-Allianz Baselland gegründet. Diese kämpft für konkurrenzfähige Gebühren, Löhne und Betreuungsschlüssel. Die Idee sei während einer Sitzung des Vereins Tagesbetreuung Nordwestschweiz (Tabeno) entstanden. Jäger gehört dem Vorstand von Tabeno an.

Im Austausch mit der Regierung

Die Allianz hat sich mit einem Brief an die Baselbieter Regierung gewandt. Sicherheitsdirektorin Kathrin Schweizer hat die Vertreterinnen und Vertreter der Gruppierung vor Kurzem zu einem Austausch eingeladen.

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Die Situation für Kitas in Baselland könnte sich schon bald zuspitzen. (Symbolbild) - Uwe Anspach/dpa/dpa-tmn

Die SP-Regierungsrätin zeigt Verständnis für die Situation der Kitas. Diese seien bereits seit einiger Zeit vom Fachkräftemangel betroffen, sagt sie auf Anfrage von «OnlineReports». Und sie sieht die Gefahr: «Es ist nicht abwegig, anzunehmen, dass die besseren Arbeitsbedingungen im Kanton Basel-Stadt zu einer weiteren Verschärfung der Situation führen könnten.»

Schweizer: «Der Einfluss der finanziellen Lage des Kantons auf die Variantenwahl wird sich dann zeigen»

Trotzdem wird der Kanton die Kitas im Moment nicht unterstützen. Denn für die Subventionierung der familienergänzenden Betreuung sind die Gemeinden zuständig. Im Projekt, an dem die Sicherheitsdirektion und die Gemeinden arbeiten, werde «ein erstmaliges Engagement des Kantons geprüft», sagt Schweizer.

Dazu müsste auch eine entsprechende Rechtsgrundlage geschaffen werden. Ohne diese sei eine kurzfristige Unterstützung der Kitas nicht möglich. Ein allfälliges Engagement des Kantons könne also «höchstens mittelfristig» im Rahmen des Gegenvorschlags erfolgen – vorausgesetzt, dass Politik und Bevölkerung zustimmen.

Die aktuelle finanzielle Situation des Kantons dürfte das Anliegen der Kita-Allianz nicht begünstigen. Baselland weist für das Jahr 2023 ein Defizit von 94 Millionen Franken aus. Mitte-Finanzdirektor Anton Lauber hat vergangene Woche Sparmassnahmen angekündigt, um die Schuldenbremse einzuhalten.

Es ist wohl nicht auszuschliessen, dass der Gegenvorschlag zur Kita-Initiative dadurch «schlanker» ausfallen wird. Schweizer sagt: «Im Projekt werden verschiedene Varianten mit entsprechenden Vor- und Nachteilen untersucht. Der Einfluss der finanziellen Lage des Kantons auf die Variantenwahl wird sich dann zeigen.»

Meschberger: «Ich werde emotional bei diesem Thema»

Die Kita-Allianz hat auch das Gespräch mit den Gemeinden gesucht. Die Initiantinnen und Initianten dürfen sich aber auch von dieser Seite wohl nicht allzu viel Unterstützung erhoffen. Wie «OnlineReports» Ende vergangenes Jahr berichtete, haben mehrere Baselbieter Kommunen für 2024 ein Defizit budgetiert.

Muss der Kanton Baselland mehr für eine bessere Kinderbetreuung tun?

Regula Meschberger ist Präsidentin des Verbands Basellandschaftlicher Gemeinden (VBLG) und Gemeinderätin in Birsfelden, wo sie das Ressort Gesellschaft–Freizeit–Kultur betreut. «Ich werde emotional bei diesem Thema», sagt sie. In Birsfelden habe Ende 2023 eine Kita aus wirtschaftlichen Gründen schliessen müssen, eine weitere gehe Ende Juni zu. Es bleiben dann noch zwei Kitas übrig – für knapp 10'500 Einwohnerinnen und Einwohner.

Die frühere SP-Landrätin steht in engem Kontakt mit den Kita-Betreibenden und hat erfahren, dass sich in einer der beiden Tagesstätten bereits vier Familien abgemeldet haben. «Sie ziehen in die Stadt, weil dort die Kita günstiger ist», erzählt Meschberger. Zudem suche die Kita-Leiterin verzweifelt eine Mitarbeitende. Die Kitas in der Agglomeration sind wegen ihrer Nähe zu Basel-Stadt besonders stark von der Abwanderung betroffen.

Kitas statt Eltern unterstützen?

Der VBLG werde sich im Kanton stark machen müssen, damit der Gegenvorschlag zur Kita-Initiative so rasch wie möglich präsentiert werde. «Denn ohne Subventionierung durch den Kanton werden wir es nicht schaffen», sagt Meschberger. In Baselland ist die familienergänzende Kinderbetreuung oft subjektfinanziert. Die Gemeinden unterstützen die Eltern, nicht die Institution.

Meschberger denkt, dass sich die Gemeinden bis zur kantonalen Lösung eine zusätzliche Objektfinanzierung überlegen müssten. Doch auch das gehe nicht von heute auf morgen, zumal es ein neues Reglement benötige, das zuerst erarbeitet und anschliessend von der Gemeindeversammlung genehmigt werden müsse. «Die Katze beisst sich in den Schwanz.»

So verworren die Situation auch sein mag, wollen Rahel Jäger und ihre Mitstreitenden nicht aufgeben. Sie werden das Gespräch suchen mit Politikerinnen und Politikern, aber auch mit den Wirtschaftsverbänden in der Region. Und sie davon zu überzeugen versuchen, dass ein Kanton, wenn er attraktiv sein möchte, eine bezahlbare familienergänzende Kinderbetreuung anbieten muss.

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Hinweis: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal «OnlineReports» publiziert.

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