Interviews mit Wladimir Putin haben Seltenheitswert. Das neuste, mit Trump-Freund Tucker Carlson, muss man trotzdem nicht gesehen haben.
Tucker Carlson Donald Trump
Moderator Tucker Carlson (Mitte) unterhält sich mit ex-Präsident Donald Trump (rechts) und der Abgeordneten Marjorie Taylor Greene (links) bei einem Golfturnier in Bedminster, N.J., am 31. Juli 2022. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der ehemalige Fox-News-Moderator Tucker Carlson soll Wladimir Putin interviewt haben.
  • Er rechtfertigt sein Vorgehen mit der Redefreiheit und dem Informationsbedarf in den USA.
  • Wo er recht hat, hat er recht – aber ersparen kann man sich das Interview dennoch.
Ad

Der vom US-Sender Fox News geschasste und für seine aggressive Rhetorik berüchtigte TV-Moderator Tucker Carlson soll ein Interview mit Wladimir Putin geführt haben. Veröffentlicht hat er es bislang noch nicht – zunächst muss wohl die Spannung noch etwas angeheizt werden. Zum Beispiel, zugegebenermassen, indem andere Medien wie Nau.ch darüber berichten.

Nachfolgend liefern wir aber auch sechs Fragen und Antworten, warum man das Interview getrost ignorieren kann. Denn in seiner Online-Ankündigung und Begründung für das Interview sagt Tucker Carlson eigentlich schon alles, was man wissen muss.

Tucker Carlson Moskau
Im Vorfeld zum Interview mit Wladimir Putin wurde viel spekuliert, weil Tucker Carlson in Moskau gesichtet wurde – unter anderem im renommierten Bolschoi-Theater, - Screenshot x.com

Ist es denn jetzt gesichert, dass es ein Interview mit Putin gibt?

Es gibt zumindest zwei Quellen, die das bestätigen: Tucker Carlson selbst und Kremlsprecher Dmitri Peskow. Dann wird es wohl stimmen.

Stimmt es, dass die meisten Amerikaner zu wenig über den Ukraine-Krieg wissen?

«Sie haben nicht wirklich Ahnung, was in dieser Region passiert», sagt Tucker Carlson. Mit dem Nachsatz, dass sie das schliesslich wissen sollten, schliesslich koste sie die ganze Übung eine Stange Geld. Das ist ziemlich sicher korrekt, einerseits, weil wohl nicht nur die Amerikaner zu wenig über den Ukraine-Krieg wissen.

Wladimir Putin Medienkonferenz
Der russische Präsident Wladimir Putin während seiner jährlichen Medienkonferenz in Moskau, am 14. Dezember 2023. - keystone

Andererseits aber auch, weil die Amerikaner berüchtigt dafür sind, mit Geografie und Weltpolitik auf Kriegsfuss zu stehen. Manche können ihren Bundesstaat nicht auf einer Karte finden, oder Irak, oder Indien, oder Israel und Fremdsprachenkenntnisse sind eh unnötig. Das ist aber ein Argument für bessere Bildung oder Horizonterweiterung, nicht für ein Interview mit einer spezifischen Person.

Aber so ein Interview ist doch echter Journalismus: Alle Seiten sollen zu Wort kommen?

Korrekt, und Tucker Carlson hat auch nicht ganz unrecht, dass mit Putins Gegenpart Wolodymyr Selenskyj in Interviews manchmal etwas gar pfleglich umgesprungen wird. Dabei, so Carlson, habe der Ukraine-Krieg weitreichende Folgen für die Sicherheitspolitik und die Weltwirtschaft. Stimmt auch.

Ein Grossteil der Welt verstehe dies auch (im Gegensatz zu den USA), man solle bloss mal jemanden in Asien oder dem Mittleren Osten fragen. Nur in englischsprachigen Ländern scheine man das nicht zu realisieren. Ein sehr interessanter, aber sehr US-lastiger Ansatz: Zum einen schert Carlson die über 70 englischsprachigen Länder alle über einen Kamm, meint aber wohl primär Nordamerika und UK.

Tucker Carlson Wladimir Putin
Tucker Carlson verteidigt auf «X», warum er Wladimir Putin interviewt. - Screenshot x.com

Was ist denn mit den englischsprachigen Menschen in Asien, den Hunderten Millionen Inder und Pakistani? Und warum sollten die Menschen in Jordanien oder Libanon mehr über die Hintergründe des Ukraine-Kriegs wissen als Menschen in Miami oder Liverpool? Weil, gemäss Carlson, die englischsprachigen Medien (nur die?) korrupt seien und entscheidende Fakten wegliessen.

Warum interviewt denn niemand Wladimir Putin – ausser Tucker Carlson?

Das scheint den ewig erstaunten Tucker Carlson auch zu wundern. Seit Beginn des Kriegs habe man mit unzähligen Ukrainern geredet und unzählige Male Selenskyj interviewt. Das seien aber keine Interviews, sondern Ermunterungs-Gespräche für noch mehr Waffenlieferungen. Das laufe auf staatliche Propaganda heraus: «Propaganda der übelsten Sorte, der Sorte, die Menschen tötet.»

Was halten Sie von Tucker Carlson?

«Kein einziger westlicher Journalist hat sich um ein Interview mit Wladimir Putin bemüht», klagt Tucker Carlson – also muss ja wohl oder über er einspringen. Nur stimmt dies nicht: Im Juni 2021 hat zuletzt der Sender NBC ein Interview mit Putin geführt. Seither haben zahlreiche westliche Medien angefragt, doch alle ausser Carlson erhielten ein «njet» als Antwort, bestätigt Kremlsprecher Peskow.

«Sollen denn die US-Bürger nicht wissen, warum Putin in der Ukraine einmarschiert ist?»

Sicher, sicher, sollen sie ruhig. Nur macht das Tucker Carlson zu seinem zentralen Argument für seinen Interview-Coup: «Die meisten Amerikaner haben null Ahnung, warum Putin in der Ukraine einmarschiert ist und was seine Ziele sind.» Das ist wahrscheinlich so, aber es ändert nichts daran, dass es eine völkerrechtswidrige Invasion war. Die meisten Amerikaner werden auch nicht wissen, dass Putin nicht 2022, sondern 2014 einmarschiert ist – auf der Krim-Halbinsel und im Donbass.

krim brand
Russland annektierte die ukrainische Halbinsel Krim bereits im Jahr 2014 - im Bild zu sehen die Hafenstadt Sewastopol hinter dem sowjetischen Denkmal «Soldat und Seemann». - Ulf Mauder/dpa

Carlson argumentiert mit der Redefreiheit, die in den USA gelte und darum auch für ihn selbst. Zwischen den Zeilen klingt das aber nach: Wenn man erstmal Putin gehört hat, wird man zur Einsicht kommen, dass er achtenswerte Gründe für sein Handeln hat.

Warum sollte man dann das Interview ignorieren?

Weil das, was Tucker Carlson selbst oder durch seine Interviewpartner verbreitet, oft schlicht nicht stimmt. Wir in der Schweiz können das – in Carlson’scher Logik im Gegensatz zu den angeblich ignoranten Amerikanern – beurteilen. Denn er hat auch schon Dinge über die Schweiz in einem Interview «erfahren».

So hätten Ukrainer mit US-Milliarden in der Schweiz die Häuser von Russen gekauft und seien dann im Lamborghini vorgefahren. Via «Russia Today» waren es bald 50 Milliarden, online kursierten Grundbuchauszüge der Gemeinde Saanen BE. Problem: Diese waren gefälscht und mit 50 Milliarden könnte man ganz Saanen plus Gstaad kaufen, oder ein paar Hunderttausend Lambos.

Lamborghini
Lamborghinis bei einer Ralley im indischen Chennai - AFP

Gut, wahrscheinlich wird Wladimir Putin irgendeine kontroverse Aussage machen: Darüber werden aber die nicht-korrupten, nicht-englischsprachigen Medien berichten, ohne dass man sich höchstpersönlich durchs gesamte Interview kämpfen müsste. Denn der Rest dürfte gespickt sein mit Falschinformationen und Weglassungen, denn Putin hat ja seine Gründe, warum er Tucker Carlson ein Interview gibt und allen anderen nicht.

Das wäre dann aber kein Interview mehr, sondern Propaganda, staatliche Propaganda. Propaganda der übelsten Sorte, der Sorte, die Menschen tötet.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

WeltwirtschaftWladimir PutinUkraine KriegLamborghiniModeratorLiverpoolKriegNBC