Oppositionskandidat Imamoglu übernimmt Rathaus in Istanbul
Nach wochenlangem Streit um das Wahlergebnis in Istanbul ist der Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu offiziell zum Sieger erklärt worden.

Das Wichtigste in Kürze
- Wahlkommission erklärt CHP-Politiker offiziell zum Wahlsieger.
«Dies ist ein neuer Morgen», rief der Politiker der Republikanischen Volkspartei (CHP) seinen Anhängern zu, nachdem er im Rathaus das Bürgermeisteramt angetreten hatte. Trotz eines Antrags der AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan auf Neuwahl hatte die Wahlkommission ihm zuvor seine Ernennungsurkunde ausgehändigt.
Im Foyer des Rathauses versprach Imamoglu, mit Transparenz zu regieren und allen Bürgern zu dienen «und nicht einer Person, einer Gruppe oder Partei». Für das Wochenende kündigte er eine Kundgebung an, um den Istanbulern sein Programm vorzustellen. Die Wahlkommission forderte der Politiker der linksnationalistischen Opposition auf, um des «Friedens» willen rasch die Einsprüche gegen das Wahlergebnis zu klären.
«Dieses Volk hat mir die Ehre gewährt, die schönste Stadt der Welt zu führen», rief Imamoglu vor zehntausenden Anhängern vor dem Rathaus. Er dankte allen «Wächtern der Demokratie», die in der Wahlnacht auf den Urnen geschlafen hätten. Fortan werde es nicht mehr vorkommen, dass sich jemand den Reichtum der Stadt aneigne. «Wir haben niemals die Grundprinzipien der Republik und Atatürk aufgegeben», rief er.
Zuvor hatte Imamoglu von der Wahlkommission im Justizpalast seine Ernennungsurkunde entgegengenommen. Das Gedränge im Foyer und auf den Gängen war so gross, dass es zu chaotischen Szenen kam. Imamoglus Anhänger skandierten «Recht, Gesetz, Gerechtigkeit», während er sich einen Weg durch die Menge bahnte. Als ein CHP-Vertreter verkündete, dass er die Urkunde erhalten habe, brach Jubel aus.
Der CHP-Kandidat war bei der Istanbuler Bürgermeisterwahl am 31. März mit 25.000 Stimmen knapp vor dem AKP-Kandidaten und früheren Ministerpräsidenten Binali Yildirim gelandet. Anschliessend hatte es jedoch heftigen Streit um das Ergebnis gegeben. Die regierende AKP von Präsident Erdogan machte zahlreiche Unregelmässigkeiten bei der Abstimmung geltend und beantragte eine Nachzählung.
Nach der Überprüfung der rund 290.000 ungültigen Stimmen und der Neuauszählung mehrerer Bezirke verringerte sich zwar der Vorsprung Imamoglus. Nach Abschluss aller Nachzählungen am Dienstag lag der CHP-Kandidat aber weiter mit 13.729 Stimmen in Führung, wie die Wahlkommission mitteilte. Einen Antrag der AKP, alle Stimmen in Istanbul neu auszuzählen, hatte das Richtergremium zuvor abgelehnt.
Mit der Übergabe der Ernennungsurkunde ist Imamoglu offiziell als Bürgermeister eingesetzt. Allerdings muss die Wahlkommission noch über einen Antrag der AKP auf Annullierung und Wiederholung der Wahl entscheiden. Wann sie diese Entscheidung trifft, ist offen. Einen zweiten Antrag der AKP, mit der Übergabe der Urkunde bis zur Entscheidung über Neuwahlen zu warten, lehnte die Wahlkommission am Mittwoch ab.
Der Verlust von Istanbul ist für Erdogan und seine Partei bitter, da die 15-Millionen-Metropole das kulturelle und wirtschaftliche Herz der Türkei ist. Zudem stammt Erdogan selbst vom Bosporus und begann dort 1994 seine politische Karriere als Bürgermeister. Die Niederlage wiegt umso schwerer für die AKP, da sie bei der landesweiten Kommunalwahl am 31. März auch die Hauptstadt Ankara an die Opposition verloren hatte.
Derweil wurde bei Protesten im Südosten der Türkei eine Abgeordnete der prokurdischen HDP verletzt. Remziye Tosun wurde mit einem Wirbelbruch ins Krankenhaus in Diyarbakir eingeliefert, nachdem sie zu Boden gestürzt war. Die Demonstration richtete sich gegen einen Beschluss der Wahlkommission, wonach Kandidaten kein Mandat übernehmen können, die per Dekret während des Ausnahmezustands aus dem Staatsdienst entlassen worden waren.