Die nach massivem Druck der türkischen Regierungspartei AKP erfolgte Annullierung der Bürgermeisterwahl in Istanbul ist im In- und Ausland auf heftige Kritik gestossen.
Anhänger von Bürgermeister Imamoglu in Istanbul
Anhänger von Bürgermeister Imamoglu in Istanbul - AFP
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Das Wichtigste in Kürze

  • Bundespräsident Steinmeier «sehr besorgt» über Entscheidung.

Bundesaussenminister Heiko Maas (SPD) nannte die Entscheidung «nicht nachvollziehbar», die EU forderte eine «unverzügliche» Begründung. Die türkische Oppositionspartei CHP von Wahlsieger Ekrem Imamoglu sprach von einem «Putsch» gegen die Wahlurnen.

Die türkische Wahlbehörde YSK hatte am Montag die Annullierung und Wiederholung der Wahl vom 31. März verkündet, die der AKP-Kandidat knapp verloren hatte. Hintergrund der Entscheidung ist eine Beschwerde der AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan. «Wir glauben ernsthaft, dass es organisierte Korruption und Unregelmässigkeiten gab», bekräftigte Erdogan am Dienstag bei einem Treffen von Abgeordneten seiner Partei. Die Anordnung zur Annullierung und Wiederholung der Wahl sei der «beste Schritt» für das Land.

CHP-Sprecher Faik Öztrak bezeichnete die Entscheidung der YSK als «Putsch» gegen die Wahlurnen. Die Anordnung mache «den Willen der Wähler null und nichtig». Parteichef Kemal Kilicdaroglu bezeichnete die Mitglieder der Wahlbehörde als «Bandenmitglieder» unter Erdogans Kontrolle. «Diejenigen, die ihre Macht aus dem Palast beziehen, werden eines Tages vor der Geschichte zur Rechenschaft gezogen, wir beziehen unsere Macht aus dem Volk.»

Bundesaussenminister Heiko Maas (SPD) kritisierte die Annullierung der Wahl als «nicht transparent und nicht nachvollziehbar». Über die Besetzung des Bürgermeisteramtes könne und dürfe «allein der Wille der türkischen Wählerinnen und Wähler entscheiden», erklärte Maas.

Die EU rief die türkische Wahlbehörde auf, «unverzüglich» die Gründe für die Wiederholung der Wahl zu nennen. Die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini und EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn erklärten, freie, faire und transparente Wahlen seien für jede Demokratie unverzichtbar. Sie verlangten auch die Zulassung internationaler Wahlbeobachter bei einer Neuwahl.

Bundespräsident Steinmeier kritisierte, der Oberste Wahlrat der Türkei habe «keine überzeugenden Gründe genannt, die zu einer Ungültigkeit der Wahlen in Istanbul führen müssen». «Gerade weil mir die Zukunft der Türkei und der Wert der Demokratie am Herzen liegen, bin ich sehr besorgt über die angeordnete Wiederholung der Wahl», erklärte er.

Der Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten für die Europawahl, Frans Timmermans, nannte die Annullierung «eine schreckliche Sache». Erdogan habe «offenbar Angst vor der Demokratie», sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Gökay Sofuoglu, warnte vor einem Abgleiten der Türkei in die Diktatur. Mit dem Schritt sende die türkische Führung die Botschaft aus: «Ihr dürft bei Wahlen antreten, aber nicht gewinnen», sagte er AFP.

Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte, Michael Brand (CDU), sagte dem «Spiegel»: «Wer so lange wählen lassen will, bis ihm das Ergebnis passt, der ist ein lupenreiner Anti-Demokrat.»

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) sprach im «Tagesspiegel» von einer «Kriegserklärung gegen die Reste der Demokratie». Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir sagte AFP: «Mit Demokratie hat das rein gar nichts mehr zu tun.»

Oppositionskandidat Imamoglu war bei der Wahl nach einer zweiten Auszählung knapp vor dem AKP-Kandidaten und Ex-Ministerpräsidenten Binali Yildirim gelandet. Yildirim, ein enger Verbündeter Erdogans, erklärte nach der Entscheidung zur Wiederholung der Wahl am 23. Juni, er hoffe, diese werde «vorteilhaft für unsere Stadt sein».

Der Verlust von Istanbul war für Erdogan und seine Partei bitter, da die 16-Millionen-Metropole das kulturelle und wirtschaftliche Herz der Türkei ist. Zudem stammt Erdogan selbst vom Bosporus und begann dort 1994 seine politische Karriere als Bürgermeister.

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