Der Streit der EU und Litauen mit Belarus um die Ankunft zahlreicher mehrheitlich irakischer Flüchtlinge an der litauischen Grenze spitzt sich weiter zu. Die belarussischen Behörden warfen Litauen am Mittwoch vor, ankommende Menschen zu misshandeln.
Frontex-Fahrzeug an der litauisch-belarussischen Grenze
Frontex-Fahrzeug an der litauisch-belarussischen Grenze - AFP
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Das Wichtigste in Kürze

  • Minsk vermutet Misshandlungen - Berlin sichert Vilnius Unterstützung zu.

Vilnius und Brüssel beschuldigen die autoritäre Führung in Minsk, aus Rache für EU-Sanktionen gezielt Flüchtlinge einzuschleusen. Derweil verliess die belarussische Olympia-Teilnehmerin Kristina Timanowskaja Japan, um in Polen Schutz vor politischer Verfolgung zu suchen.

Die belarussischen Behörden nahmen nach dem Tod eines irakischen Flüchtlings an der litauischen Grenze auf Anweisung von Präsident Alexander Lukaschenko Ermittlungen auf. Nach offiziellen Angaben hatten Grenzschützer den schwer misshandelten Iraker unweit der Grenze gefunden. Er «starb in den Armen der Grenzschützer», erklärte das Präsidentenamt. Lukaschenko sei «sofort von diesem schockierenden Mord in Kenntnis gesetzt» worden.

Am Dienstag hatte der belarussische Grenzschutz bereits erklärt, dass etwa 40 in Litauen abgewiesene Migranten, darunter Frauen und Kinder, mit «körperlichen Verletzungen» nach Belarus zurückgekehrt seien. Litauen hatte zuvor offiziell angekündigt, über Belarus ins Land kommende Flüchtlinge notfalls zurückzudrängen. Dabei könnten auch «abschreckende» Massnahmen gegen jene ergriffen werden, die den Anordnungen nicht folgten, hiess es aus Vilnius.

Aus Berlin wurde Verständnis signalisiert: «Litauen hat eine schwierige Situation zu bewältigen», sagte eine Sprecherin der Bundesregierung am Mittwoch. Seit Anfang des Jahres verzeichnete das kleine Land die Ankunft von mehr als 4000 Flüchtlingen, meist irakische Staatsangehörige. Im gesamten Jahr 2020 waren es nur 81. Die Regierung in Vilnius und die EU machen Lukaschenko direkt dafür verantwortlich.

«Eine Anfrage aus Litauen zur Aufnahme von Flüchtlingen liegt nicht vor», sagte die deutsche Sprecherin weiter. Das Land könne aber auf seine europäischen Partner zählen. Besonders beim Schutz der EU-Aussengrenze werde sich Deutschland beteiligen.

Lukaschenko geht derweil weiter hart gegen kritische Stimmen vor. Die 24-jährige belarussische Sprinterin Kristina Timanowskaja will aus Angst vor Verfolgung nicht in ihr Heimatland zurückkehren. Sie hatte in Online-Medien Kritik an belarussischen Sportfunktionären geübt, woraufhin das belarussische Nationale Olympische Komitee (NOK) sie von den Spielen in Tokio ausschloss.

Polen erklärte sich bereit, ihr Schutz zu gewähren. Am Mittwoch flog sie von Tokio nach Wien, von wo aus sie nach Warschau weiterreisen sollte. Auch Timanowskajas Ehemann Arseni Zdanewitsch war nach eigenen Angaben aus Belarus geflüchtet und hält sich zur Zeit in der Ukraine auf. Ihm stellte die Regierung in Warschau ebenfalls ein humanitäres Visum aus.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ordnete am Mittwoch zusätzlichen Schutz für belarussische Staatsbürger im Exil in seinem Land an. «Jeder Belarusse, der wegen seiner politischen Haltung ins Visier von Kriminellen geraten kann, muss einen speziellen und zuverlässigen Schutz erhalten», erklärte er. Dabei verwies er auf «Risiken» für «mehrere belarussische Aktivisten».

Am Dienstag war in Kiew der belarussische Aktivist Witaly Schischow erhängt in einem Park aufgefunden worden. Die ukrainischen Behörden ermitteln unter anderem wegen «als Selbstmord getarnten Mordes». Schischows Umfeld geht von einer «gezielten Operation» des belarussischen Geheimdienstes aus. Der 26-Jährige hatte eine Organisation geführt, die Belarussen bei der Emigration in die Ukraine hilft.

In Minsk begann derweil hinter verschlossenen Türen der Prozess gegen die bekannte Regierungskritikerin Maria Kolesnikowa. Der 39-jährigen Musikerin und ihrem Anwalt Maxime Snak drohen nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Belta zwölf Jahre Haft wegen «Verschwörung zur Machtergreifung» sowie sieben Jahre wegen «Aufrufs zu Aktionen gegen die nationale Sicherheit». Kolesnikowa ist eine der wenigen Anführer der Protestbewegung gegen Staatschef Lukaschenko, die nicht das Land verlassen hat.

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