«Wir müssen mehr Ruhe ins Schulzimmer bekommen»
In mehreren Kantonen steigt die Zahl der Sonderschulklassen. Wegen der integrativen Schule fehle die Zwischenlösung, sagt FDP-Politikerin Sabina Freiermuth.

Das Wichtigste in Kürze
- Die Anzahl Sonderschulklassen nimmt in mehreren Kantonen zu.
- FDP-Frau Freiermuth kritisiert deshalb die integrative Schule und will mehr Förderklassen.
- Mitte-Politikerin Durrer-Knobel hält ein «Entweder-Oder» für den falschen Ansatz.
In der Schweiz werden immer mehr Kinder in Sonderschulen unterrichtet. Laut einem SRF-Bericht gibt es in mehreren Kantonen zahlreiche neue Klassen. In Bern waren es beispielsweise im vergangenen Schuljahr deren 50.
Ein Grund dafür ist laut dem Bericht die integrative Schule. Diese gerate immer mehr unter Druck. Oft fehlen die Ressourcen, um die Integration in der Praxis umzusetzen.
Die FDP äusserte bereits im Oktober 2024 heftige Kritik an der integrativen Schule. Diese lasse sowohl lernschwache Kinder als auch Begabte im Stich, hiess es in einer Mitteilung mit dem Titel: «So retten wir die Volksschule».
Ein Vorstoss, der in diesem Zusammenhang präsentiert wurde, fordert «Förderklassen statt integrative Schule um jeden Preis». Wichtig ist hierbei die Unterscheidung zwischen Förderklassen und Sonderschulen.
Erstere sind eine Art integratives Angebot im Rahmen der Regelschule, um lernschwächere Kinder zu fördern. Zweitere sind dann separate Schulen, die von der Regelschule getrennt sind.
Wenn also die Zahl der Sonderschulklassen steigt, könnte man dies als Zeichen dafür sehen, dass die integrative Schule gescheitert ist. Förderklassen, die einen Übertritt in eine Sonderschule verhindern würden, fehlen.
Sieht man sich bei der FDP deshalb nun bestätigt?
Freiermuth (FDP): «Müssen mehr Ruhe ins Schulzimmer bekommen»
Sabina Freiermuth, Präsidentin der FDP Aargau, sagt gegenüber Nau.ch: «Ohne Zwischenlösung wie Förderklassen werden Kinder eher einer heilpädagogischen Sonderschule zugewiesen, was für die Kinder definitiv die separativste und den Staat die teuerste Beschulung darstellt. Den Schulen bleibt aber oft kein anderer Weg, um eine Lehrperson zu entlasten bzw. eine Regelklasse tragfähig zu erhalten.»
Der integrative Unterricht innerhalb der Regelschule komme immer mehr an seine Grenzen, so Freiermuth. «Alle Kinder mit Unterstützungsbedarf in die Regelklasse zu integrieren, überlaste die Lehrpersonen zunehmend.»

Ein Problem sei die zunehmende Anzahl von Betreuungspersonen, also Lehrpersonen, Heilpädagogik, Assistenten und so weiter, in den Klassenzimmern. Wenn im Rahmen der integrativen Schule alle in einem Raum unterrichtet werden sollen, führt das damit zu mehr Unruhe.
Das überfordere wiederum die Kinder und könne zu auffälligem Verhalten führen- und sich schliesslich auf die Anzahl Sonderschulzuweisungen Unterstützungsbedürftiger auswirken, sagt Freiermuth.
«Wir müssen mehr Ruhe ins Schulzimmer bekommen. Dann wird sich so manches verhaltensauffällige Kind beruhigen», ist für Freiermuth klar. Ein Mittel für mehr Ruhe wären aus ihrer Sicht die angesprochenen Förderklassen.
«Integrative Schule erfüllt Ziele nicht»
Wenn ein Kind an eine heilpädagogische Sonderschule wechsle, habe das gleich mehrere negative Folgen, sagt Freiermuth: «Einerseits entsteht so eine komplette Separation, eine Rückkehr an die Regelschule ist schwierig. Dazu kommt, dass Sonderschulen die teuerste Schulart sind.»

«Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die integrative Schule die Ziele nicht erfüllt. Es ist ein pädagogisches Konzept, das in der Realität nicht funktioniert», bilanziert die FDP-Grossrätin. Man müsse jetzt ohne Ideologie und Emotionen hinschauen und andere Massnahmen ergreifen. Zum Wohl der Kinder, aber auch der Lehrpersonen.
Freiermuth führt aus: «Das hat unser Parteipräsident Thierry Burkart erkannt. Im Frühling 2024 hat er eine Arbeitsgruppe mit Spezialistinnen und Spezialisten aus dem Bildungsbereich damit beauftragt, die aktuellen Herausforderungen an der Volksschule aufzuzeigen und Lösungsvorschläge zu benennen. Das an der Delegiertenversammlung verabschiedete Papier hat schweizweit intensive Diskussionen ausgelöst.»
Wichtig sei hierbei, dass die Bildungsdepartements helfen und die Schulen nicht alleine lassen. Freiermuth nennt das Beispiel des Kantons Aargau. «Hier sind Förderklassen zwar nicht verboten, aber man müsste die Schulen auch dabei unterstützen, solche Klassen einzurichten. Das wurde zum Glück endlich erkannt.»
Durrer-Knobel (Mitte): Sonderklassen als Alternative begrüssenswert
Regina Durrer-Knobel spricht sich derweil für einen Mittelweg aus. Die Nidwaldner Nationalrätin sagt, sie finde es schade, wenn man von einem «Entweder-Oder» ausgehe.
Bei einigen Kindern funktioniere die Integration sehr gut. Möglicherweise funktioniere es auch in den ersten Jahren gut, aber ab einem gewissen Alter dann nicht mehr.
Durrer führt aus: «Deswegen braucht es meiner Meinung nach auf jeden Fall die Möglichkeit der Sonderklassen oder zumindest sogenannte Lerninseln.»

Wie Freiermuth sieht auch Durrer Herausforderungen, was die integrative Schule angeht. Es gebe Kinder mit körperlichen Behinderungen, psychischen Beeinträchtigungen, Sprachproblemen oder Verhaltensauffälligkeiten.
«Für all diese Fälle ein Setting innerhalb des regulären Unterrichts bereitzustellen, welches den Rest der Klasse nicht beeinträchtigt, ist äusserst anspruchsvoll und ressourcenintensiv.» Wichtig sei, dass man im Gespräch mit Eltern, Kindern und Schule im Einzelfall die jeweils richtige Lösung finde.
«Deswegen finde ich die jetzige Diskussion, Sonderklassen wieder als Alternative anzuschauen, begrüssenswert. Man muss deswegen aber auf keinen Fall den integrierten Unterricht abschaffen», bilanziert Durrer.