Vogelwarte sieht «keinen Nachweis» für Gänsesäger-Abschüsse
Ständeräte wollen Gänsesäger abschiessen, weil sie bedrohte Fischarten gefährden. Die Vogelwarte sieht dazu keine Veranlassung.

Das Wichtigste in Kürze
- Auch Gänsesäger sollen geschossen werden dürfen, sagt die Umweltkommission des Ständerats.
- Sie sieht die Entenvögel als Gefahr für die vom Aussterben bedrohten Fischarten.
- Für den Gänsesäger-Abschuss gebe es keine Notwendigkeit, sagt dagegen die Vogelwarte.
Die Umweltkommission des Ständerats will gefährdete Fischarten retten: Deshalb soll nebst dem Kormoran auch der ebenfalls fischfressende Gänsesäger geschossen werden dürfen, des grössten in der Schweiz heimischen Entenvogels.
Dazu soll sein Schutzstatus gesenkt werden, denn im Vergleich zum Kormoran ist der Gänsesäger weniger häufig und darum «potenziell gefährdet»: Es sind nur etwa 800 bis 900 Paare, Kormoranen-Paare gibt es etwa viermal so viele.
Viele Fischarten vom Aussterben bedroht
Für die Sorgen aus dem Ständerat zeigt die Vogelwarte Verständnis, auch wenn es um Fische und nicht um Vögel geht: «Ja, Fische sind, wie alle anderen Tiere und Pflanzen, Teil der Natur und der Lebensräume», sagt Mediensprecher Thorsten Wiegers.

Und in der Tat sind viele Fischarten in der Schweiz vom Aussterben bedroht. Der Urheber des Gänsesäger-Vorstosses, Gewerbeverbandspräsident und Tessiner Mitte-Ständerat Fabio Regazzi, erwähnt einige Beispiele: die Adriatische Äsche, die Alborella, der Aal, die Nase sowie die Marmorata- und die Donauforelle.
Kurz, die Biodiversität sei in Gefahr und die teure Revitalisierung der Fliessgewässer zugunsten der Fischvielfalt hätten daran nichts geändert.
So kommt Ständerat Regazzi zum Schluss: «Wir dürfen nicht zulassen, dass die fischfressenden Vögel, die heute ungerechtfertigterweise absolut geschützt sind, ungestört Fische jagen und fangen.»
Insbesondere habe der Bestand des Gänsesägers in den letzten Jahren zugenommen – gemäss Daten der Vogelwarte.
Gänsesäger-Abschuss: «Keine Notwendigkeit»
Liefert die Vogelwarte der Politik hier das Argumentarium, damit ihre Schützlinge zum Abschuss freigegeben werden? Mediensprecher Wiegers sieht das leicht anders: Der Brutbestand des Gänsesägers habe nur gering zugenommen. «Auch die Zahl der Wintergäste auf Schweizer Seen ist seit Jahren stabil auf gleichem Niveau.»

Allein daraus ergebe sich keine Notwendigkeit, Gänsesäger abzuschiessen. Hingegen könnten Wasservögel wie der Gänsesäger durchaus sogar profitieren, wenn bedrohte Fischarten geschützt werden.
Nämlich mit den wirksamsten Formen zu deren Schutz: «Natürliche Gewässer mit ungestörten Uferzonen, schadstofffreiem Wasser und geringen menschlichen Einflüssen.»
Gelegenheit macht Futter
Die Sache hat aber auch noch einen anderen Haken: Ständerat Regazzi ist wohl zuallererst Tessiner und erst dann Fischexperte. Er führt ausgerechnet Fischarten an, die ausschliesslich auf der Alpensüdseite vorkommen – wo es sozusagen keine Gänsesäger gibt.

Nördlich des Gotthard gibt es von den genannten Arten nur den Aal. Beziehungsweise gab es, denn natürlicherweise kommt er in der Schweiz nicht mehr vor. Und die Nase, doch die ist mit 25 bis 40 cm Länge viel zu gross für den Gänsesäger.

Auf solche Ungereimtheiten mag Vogelwarte-Sprecher Thorsten Wiegers gar nicht erst eingehen. Es gelte grundsätzlich und ortsunabhängig: «Gänsesäger ernähren sich opportunistisch, also vorwiegend von den jeweils lokal am häufigsten vorkommenden und am einfachsten zu erbeutenden Fischen.»
Gemäss Untersuchungen, so Wiegers weiter, hauptsächlich Jungfische unter 12 cm, selten grösser als 15 cm. Also doch auch junge Nasen, die aus den 20’000 bis 100’000 Eiern pro Nase-Weibchen schlüpfen. Aber: «Die Verluste bei Jungfischen sind in der Natur eingeplant», betont Wiegers.
Aus Sicht der Vogelwarte ist klar: «Es gibt keinen Nachweis, dass allein die Anwesenheit von fischfressenden Vögeln und die Tatsache, dass sie Fische fressen, die Fischbestände gefährdet.»