Roger Köppel im Reich der Verschwörungstheorien
Das Wichtigste in Kürze
- SVP-Nationalrat widmet sich in seinem Video-Blog den Pandemie-Massnahmen des Bundes.
- Er will den Staat weder als «Superkrankenschwester» noch als «Gesundheitstryrann».
- Seine Kernargumente gründen allerdings auf Halbwissen und Verschwörungstheorien.
In seinem Video-Blog «Weltwoche Daily» vom Montag greift SVP-Nationalrat Roger Köppel natürlich auch die Massnahmen rund um das Coronavirus auf. Erster Tag mit Maskenpflicht im ÖV, sein Bundesrat Ueli Maurer, der mit der SwissCovid-App Mühe hat: Da führt kein Weg dran vorbei.
Als Journalist beweist Köppel, dass er sehr gut informiert ist und selbst beim Bund Zahlen eingeholt hat. Köppel legt den Finger auf die wunden Punkte – aber nicht immer ganz freiwillig. Gegen Verschwörungstheorien ist auch er nicht immun.
Keine Superkrankenschwester
Der bestgewählte Nationalrat der Schweiz weiss, wo seine Basis der Schuh drückt. Sind Sie in Corona-Panik verfallen, wissen nicht, wie man eine App installiert und wollen in Ihrem Golf-Club nicht blöd dastehen? Eben – genau darum liege der Staat mit Maskenpflicht und Corona-App falsch.
«Der Staat muss aufhören, die Superkrankenschwester zu spielen», fordert Köppel, geflissentlich ignorierend, dass es laut Berufsverband «Superpflegefachperson» heisst.
Keine Panik wegen Todesfällen
Die Zahl Verstorbener rechtfertige nicht «irgendwelche Panik-Aktionen oder Panik-Reaktionen oder Panik-Gefühle». Womit Köppel natürlich recht hat und entsprechend sieht der Bundesrat und das Pendlervolk auch nicht gerade panisch aus. Nur begründet Köppel seinen Vorwurf damit, dass im ersten Halbjahr 2020 gar nicht mehr Menschen verstorben seien als in anderen Jahren, mit Ausnahme von 2016. Dazu hat Köppel extra die Zahlen des Bundesamts für Statistik noch einmal ausgedruckt.
«Ja, wir hatten in der Woche 14/15 eine höhere Zahl von Toten als zum Beispiel 2015 mit einer massiven Grippewelle.» Aber in der Summe eben nicht – und auch hier hat Köppel recht. Nur ist das ja genau der springende Punkt: Diese kurzfristigen, raschen Anstiege von Erkrankungen und dann Todesfällen, die das Gesundheitssystem kollabieren lassen könnten. Nicht die Gesamtzahl der Todesfälle, sondern deren Verteilung über die Zeit, insbesondere bei den Ü65, ist entscheidend für die Bewältigung der Pandemie.
Keine App für Rentner
Köppel hat nicht nur recht, er gibt auch recht: Nämlich SVP-Bundesrat Ueli Maurer, der in der «Samstagsrundschau» von SRF zugibt, die Corona-App nicht installiert zu haben. Maurer habe doppelt recht, den gerade die gefährdeten 70- oder 80-Jährigen hätten Mühe, die App zu verstehen und zu installieren. Andererseits weil Köppel davor warnt, «die staatlichen Versprechungen zu glauben, die mit der Installierung der Corona-App einhergehen.» Versprechungen wie: «Wenn ihr diese App habt, dann seht ihr immer, wo sind die Seuchenherde, wer hat sich angesteckt.»
Also Funktionen die kein Experte, Bundesrat oder App-Entwickler jemals versprochen hat, sondern sogar explizit ausgeschlossen sind. Den sie würden jeglichen Datenschutz-Richtlinien, Apple- und Google-AGBs und dem extra für die App angepassten Gesetz widersprechen. Demjenigen Gesetz, dass das Parlament im Juni debattiert, modifiziert und abgesegnet hat, wenn auch gegen die Nein-Stimme von Roger Köppel. Also hat Ueli Maurer mit seinem «chume nöd druus» sogar dreifach recht: Selbst 55-Jährige haben Mühe, die App zu verstehen.
Keine Quarantäne für sich schämende Golfer
Die Corona-App taugt laut Köppel zwar nichts, was aber nicht weiter tragisch ist, denn kaum jemand werde sie benutzen. «Ich höre von Kollegen, dass sich da niemand in so eine App eintragen würde, wenn er glaubt, er sei Corona-positiv.» Wir alle haben solche Kollegen, insbesondere auch, weil man sich sicher nicht eintragen sollte, nur weil man irgendetwas glaubt – sondern erst, wenn der Test positiv ausfällt. Köppels Kollegen dagegen tragen sich nicht ein, «weil diesem Social Shaming möchte man sich nicht aussetzen».
Man stelle sich vor, als Mitglied in einem Golf- oder Tennis-Club, und dann wissen alle, wer den Virus eingeschleppt hat. Man sei der Vollidiot vom Dienst: «Dann müssen alle ihre Club-Kollegen aufhören, Golf zu spielen!» Dabei könne man sich beim Golfen oder Tennisbällelen ja gar nicht anstecken, auf 20 Meter Distanz zum Gegner. Wo Köppel wiederum recht hat, weshalb die App ja auch nur auf anderthalb Meter und 15 Minuten Kontakt anschlägt – anonym.
Keinen Impfzwang
Er sei ja kein Impfgegner, beginnt Köppel den nächsten Kritikpunkt. Aber: «Das ist doch nicht die Aufgabe des Staates, als eine Art Gesundheitstyrann die Leute zu einer Impfung zu zwingen.» Das kann man natürlich so sehen. Insbesondere weil der Imfpzwang jetzt in Erwägung gezogen werde, «gemäss den Recherchen des Portals ‹Inside Paradeplatz›».
Korrekt: Das hat «Inside Paradeplatz» recherchiert. Beziehungsweise hat den (öffentlichen) Bericht des Bundesrats zur «Vernehmlassung zum Covid-19-Gesetz» lediglich quergelesen. Denn das dort erwähnte Impfobligatorium (kein Zwang) wird nicht «in Erwägung gezogen», sondern steht seit 2016 im Epidemiengesetz. Was Köppel wohl weiss, denn den Gesundheitstyrann brauchte es dazu nicht: Das Stimmvolk hat das selbst so beschlossen.
Keine Kritik
In vielen Punkten hat Roger Köppel also recht: Apps sind schwierig, Statistiken auch, das Volk regiert sich selbst am besten. In einem Punkt liegt er aber falsch: «Ich bin sicher, das wird wieder heftige Kritik geben.» Warum denn auch? «Mit dieser Überwachungsapparat-Stimmung, die wir kreiert haben», sei niemandem geholfen. Aus dem Kontext gerissen klingt das ja bereits wie eine Selbstkritik.
Köppel sagt aber auch: «Wir müssen in eine Welt des kalkulierbaren Risikos mit Corona einsteigen. Selbstverständlich müssen wir Vorsichtsmassregeln befolgen, selbstverständlich müssen wir schauen, dass wir Risikogruppen nicht bedrohen.» Genau, das müssen wir, sagen auch Experten und Bundesrat. Vielleicht mit einer freiwilligen App, vielleicht mit einer ÖV-Maskenpflicht, aber immer ohne Panik – und ohne Panikmache.