Was stimmt und was nicht bei all den Mythen rund um den Drogenmarkt? Eine neue Studie zum Kokainmarkt zeigt: Es ist alles viel vielfältiger als gedacht.
Kokain, wie es in der Schweiz verkauft wird: in 10-Gramm-Fingerlingen und 1-Gramm-Kügelchen
Kokain, wie es in der Schweiz verkauft wird: in 10-Gramm-Fingerlingen und 1-Gramm-Kügelchen - ©école des sciences criminelles
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Das Wichtigste in Kürze

  • Der Kokainmarkt ist in der Schweiz nach Cannabis bei weitem der grösste Drogenmarkt.
  • Eine neue Studie zeigt: Es regiert die Vielfalt, sowohl bei Dealern wie auch Konsumenten.
  • Dass es kaum Kokain-Aufklärungskampagnen gibt, sei richtig, sagt der Experte.

Cannabis – kennen wir. Hunderttausende konsumieren es in der Schweiz, als Schmerzmittel oder Freizeitdroge. Zu Kokain gab es bislang vor allem eins: Erfundene Geschichten und Einzelfälle, die zur Regel erhoben wurden. Eine Studie im Waadtland zeigt nun erstmals, was in der Schweiz koksmässig wirklich abgeht – und was eben nicht.

Koks dominiert

«Dies ist eine einzigartige Studie, auch in Europa, die sehr genau den Kokainmarkt beschreibt. Damit können wir fachlich darüber sprechen», sagt Frank Zobel, Vizedirektor von Sucht Schweiz und mitverantwortlich für die Studie. Die Ergebnisse aus dem Kanton Waadt könne man guten Gewissens auf die ganze Schweiz übertragen, angesichts der Grösse und Vielfalt des Waadtlands.

Überrascht hat die Drogenfachleute, wie dominant Kokain im Drogenmarkt ist – nach Cannabis. Es wird mehr Kokain konsumiert als alle anderen Stimulanzien zusammen, also Ecstasy oder Amphetamine. Selbst Heroin kann man noch dazurechnen: Kokain ist King, mit rund 500kg pro Jahr im Kanton Waadt, oder zehnmal so viel in der ganzen Schweiz.

Es gibt praktisch nichts, was es nicht gibt

Auch überraschend war die Vielfältigkeit des Kokainmarkts. Die Nationalitäten der Dealer, die gesellschaftlichen Hintergründe der Konsumenten. Das Klischee des gut integrierten Familienvaters mit gutem Job habe man schon auch gefunden, ebenso den Randständigen, ehemaligen Heroinkonsumenten.

Aber es gebe eben auch alles dazwischen, sagt Zobel: «Die Gelegenheitskonsumenten im Ausgang, die Kumpels, die nach dem Essen noch koksen, oder die Bauerarbeiter, die nach der Arbeit wieder fit sein wollen.» 80 Prozent koksen weniger als ein Mal pro Woche.​

«Vielfalt» auch beim Produkt: Von 60 auf der Strasse verkauften und getesteten Kügelchen war keines gleich wie das andere. «Von 70 Prozent reines Kokain bis zu einem, das gar keines drin hatte. Da hat jemand 1g Streckmittel gekauft und wurde auch noch dabei verhaftet», erzählt Zobel. «Es ist eine absolute Lotterie, ausser bei einer Sache: Man bekommt nie die Menge, für die man bezahlt hat.»

Und was tun die Behörden?

Cannabis in aller Munde, beziehungsweise Lungen, sogar der Bundesrat nimmt sich der Droge an. Wird die Droge Nummer Zwei, das Kokain, stiefmütterlich behandelt? Jein. Einerseits jagt die Polizei sehr wohl den Dealern und Konsumenten nach – die Repression findet also statt.

Die Prävention dagegen weniger. Angesichts von «nur» zwei Prozent koksender Bevölkerung, davon drei Viertel Gelegenheitskonsumenten, sei dies nicht falsch, findet Frank Zobel. Denn eine Aufklärungskampagne könnte sogar kontraproduktiv sein. «Sie würde hauptsächlich Menschen ansprechen, die kein Kokain konsumieren oder kein Problem damit haben. Sie könnte aber auch ein Interesse für diese Substanz wecken bei denen, die bis jetzt noch nie daran gedacht haben.»

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