Glättli (Grüne): «Lex Rüstungsindustrie statt Lex Ukraine»
Der «Freipass» für die Rüstungsindustrie mache Waffenlieferungen an Bürgerkriegsstaaten möglich. Balthasar Glättli (Grüne) sieht das kritisch. Ein Gastbeitrag.

Das Wichtigste in Kürze
- Die Mehrheit der SiK-N will einen «faktischen Freipass für Rüstungsexporte».
- Waffenlieferungen auch an Bürgerkiegsstaaten würden möglich – jedoch nicht an die Ukraine.
- Ein Gastbeitrag von Balthasar Glättli (Grüne) zur drohenden «Lex Rüstungsindustrie».
Die Mehrheit der sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats (SiK-N) hat Ernst gemacht, und will einen faktischen Freipass für Rüstungsexporte. SVP bis Mitte einigten sich Anfang November darauf, das 2020 verschärfte Kriegsmaterial-Gesetz massiv zu lockern.
Umgekehrt hat die bürgerliche Kommissionsmehrheit dagegen den monatelangen Versuch beerdigt, Ausnahmeregeln für die Ukraine – und künftige Opfer eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs – zu finden. Der entsprechende Vorstoss wurde zurückgezogen.

Damit ist klar: Es gibt keine Lex Ukraine. Aber wohl bald eine Lex Rüstungsindustrie.
Wenn dieser Plan in der Wintersession aufgeht, ist auch ein Referendum gewiss. Es dürfte an der Urne Chancen haben.
Denn die Aushöhlung der Waffenexport-Bestimmungen geht sehr weit.
Carte Blanche für den Bundesrat
Laut dem Entwurf hätte der Bundesrat nämlich künftig die weitreichende Kompetenz, bei Waffenexporten in alle Staaten der Welt von den heutigen harten Ausschlusskriterien abzuweichen. Die Schlupflöcher dafür sind maximal gross formuliert.
Heute ist bekanntlich der Waffenexport klar verboten in Bürgerkriegsländer und in Länder mit systematischen schweren Menschenrechtsverletzungen.
Neu braucht es bloss «ausserordentliche Umstände und aussen- oder sicherheitspolitische Interessen der Schweiz», damit der Bundesrat diese Einschränkungen aushebeln kann.
Der zweite Teil, die sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz, sind aktuell aus Sicht von Bürgerlichen und Bundesrat konstant gegeben. Weil die Schweizer Rüstungsindustrie auf Exporte angewiesen sei.
Lieferungen auch an Bürgerkriegsstaaten
Direkte Waffenexporte dürfte der Bundesrat unter – nicht weiter eingeschränkten – «ausserordentlichen Umständen» neu also auch an Empfängerstaaten bewilligen, wenn sie in einem Bürgerkrieg sind oder die Menschenrechte systematisch verletzten.

Oder wenn ein hohes Risiko besteht, dass die Waffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden. So wären auch direkte Rüstungsexporte nach China, Myanmar, Äthiopien, Nicaragua oder Venezuela oder in die Vereinigten Arabischen Emirate nicht mehr ausgeschlossen.
Wiederausfuhrerklärung wurde abgeschafft
Die Nichtwiederausfuhrerklärung würde zudem grundsätzlich für alle Staaten abgeschafft. So wären direkte Waffenlieferungen an die Türkei möglich, welche diese dann an den Sudan weiterleiten könnte – oder solche an die USA, auch wenn diese dann Israel, Saudi-Arabien, Ägypten oder Jordanien beliefert.
Für die Unterstützung der Schweizer Rüstungsindustrie nimmt eine Mehrheit also sehenden Auges in Kauf, dass Schweizer Waffen bald da und dort in militärischen Konflikten zum Einsatz kommen.
Zum Autor
Balthasar Glättli (*1972) ist seit 2011 Nationalrat der Grünen. Er ist Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK-N) und der Staatspolitischen Kommission (SPK-N).
Das einzige klare Limit: An die Ukraine sollen weiter keine Waffen gehen. Oder nur dann, wenn auch Russland beliefert werden darf – wegen der Neutralität. Das ist unerträglich.








