Bundesrat will Prioritäten beim Ausbau des Verkehrsnetzes
Für den Ausbau des Schienen- und des Strassennetzes in den nächsten 20 Jahren stehen mehr Projekte an, als finanzielle Mittel verfügbar sind.

Für den Ausbau des Schienen- und des Strassennetzes in den nächsten zwanzig Jahren sind mehr Pläne in der Pipeline als Mittel verfügbar. Hinzu kommt, dass das Stimmvolk an der Urne mehrere Autobahn-Ausbauten abgelehnt hat.
In einem vom Bundesrat angeforderten Gutachten sind nun Verkehrsprojekte auf ihre Priorität hin geprüft worden. Diesen Bericht will der Bundesrat für das weitere Vorgehen heranziehen. Nachfolgend Fragen und Antworten dazu:
Im November 2024 lehnten die Stimmenden sechs Autobahn-Ausbauprojekte an der Urne ab. Fast gleichzeitig wurde bekannt, dass der bereits beschlossene Bahn-Ausbauschritt rund 14 Milliarden Franken mehr kostet, unter anderem wegen zusätzlich nötigen Projekten. Im Januar 2025 kündigte Verkehrsminister Albert Rösti deshalb an, Prioritäten zu setzen, und zwar beim öffentlichen und beim privaten Verkehr.
Sein Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) hat die geplanten Projekte für Strasse und Schiene extern überprüfen lassen. Unter Leitung von Ulrich Weidmann, ETH-Professor für Verkehrssysteme am Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme, entstand ein Gutachten mit Prioritäten.
ETH-Studie fordert Fokus auf zentrale Verkehrsprojekte
Die ETH-Forschenden befassten sich mit den Jahren 2025 bis 2045. Der Schwerpunkt sollte bei Projekten mit mehreren Kernnutzen und viel Ausstrahlung gesetzt werden, wie Studien-Hauptautor Ulrich Weidmann sagte. Ergänzt werden sollten diese mit gezielten Ausbauten an kapazitätskritischen Stellen. Dagegen würden mit kleinteiligen Ausbauten grundlegende Mängel und Kapazitätsengpässe noch über Jahrzehnte bestehen bleiben.
Im Bahnnetz raten die Fachleute dazu, Grossprojekten höchste Priorität zu geben. Etwas weniger hoch gewichten sie Ausbauten für den Personen- und den Güterverkehr. Noch weiter unten stehen Fahrplanverdichtungen, Bahnhof-Ausbauten und neue Haltestellen.
Im Nationalstrassennetz werden Projekte für Lückenschliessungen sowie Redundanzen als prioritär beurteilt. Erst danach folgen Kapazitätsausbauten, und als noch weniger prioritär werden Ortsentlastungen eingestuft.
Gegenstand des Berichts waren Projekte der Step-Ausbauprogramme für Nationalstrasse und Schiene sowie vom Bund mitfinanzierte Vorhaben in Agglomerationen sowie die im November 2024 abgelehnten Autobahn-Ausbauten. Hinzu kamen Projekte wie zum Beispiel der Durchgangsbahnhof Luzern und das sogenannte Herzstück der trinationalen S-Bahn im Raum Basel.
Uvek setzt Finanzrahmen für Verkehrsausbau bis 2045
Den finanziellen Rahmen für die zwanzig Jahre bis 2045 setzte das Uvek. Demnach stehen für Nationalstrassenvorhaben 9 Milliarden Franken zur Verfügung und für Bundesanteile an Agglomerationsverkehrsprojekten 7,5 Milliarden Franken. Bei der Bahn, wo die Kosten für den jüngsten beschlossenen Ausbauschritt 14 Milliarden Franken höher sein könnten als beschlossen, liess das Uvek zwei Finanzrahmen untersuchen: einen mit 14 Milliarden und einen mit 24 Milliarden Franken.
Zum Beispiel ist die Rede davon, das befristete Mehrwertsteuer-Promille für den Bahninfrastukturfonds weiterhin zu erheben. Es gäbe auch noch andere Finanzierungsquellen. Diese müssen aber gemäss Bundesratsbeschluss mit dem Entlastungspaket 27 vereinbar sein. Auch die Schuldenbremse müsse respektiert werden, sagte Verkehrsminister Albert Rösti.
Insgesamt wurden 226 Positionen unter die Lupe genommen und nach Priorität eingereiht, ihr Volumen beläuft sich zusammengezählt auf rund 113 Milliarden Franken. Vor allem Vorhaben für das Nationalstrassennetz und für die Bahn beanspruchen drei- bis viermal so viele Mittel, wie beim Bund bis 2045 zur Verfügung stehen. Bei den Agglomerationsprogrammen ist die Abweichung weit weniger gross.
Mit den im Gutachten nach fachlichen Kriterien gesetzten Prioritäten könnten 90 Prozent der Projekte mit hoher Priorität gebaut werden – unter der Voraussetzung, dass im Bahninfrastrukturfonds (BIF) mehr Geld zur Verfügung steht. Ist das aber nicht der Fall, müssten zusätzlich Bahnprojekte zurückgestellt werden.
ETH-Studie: Schnellere Ost-West-Verbindung bleibt zentrale
Keine oberste Priorität hat die Ost-West-Bahnverbindung zwischen Genf und St. Gallen. Es fehle eine überzeugende Perspektive, heisst es im Gutachten. Die Forschenden sprechen indes von der schwerwiegendsten Pendenz. Dass Züge die Linie St. Gallen – Genf schneller befahren können, sei wichtig für die Verbindung der Landesteile, aber auch für die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn, sagte Studien-Hauptautor Ulrich Weidmann dazu.
Im Gutachten wird geraten, mit Blick auf Ausbauten ab 2045 die konzeptionelle Arbeit für die Ost-West-Achse in Angriff zu nehmen. Auf den kritischen Abschnitten Genf – Lausanne und Aarau – Zürich könnte mit ersten Neubauten respektive punktuellen Ausbauten die Kapazität erhöht werden.
Verkehrsminister Albert Rösti nahm am Donnerstag inhaltlich noch nicht Stellung zu dem Gutachten. «Es braucht jetzt umfassende Diskussionen, vor allem mit den Direktbetroffenen und den Kantonen», sagte er vor den Medien.
Der Fall sei dies vor allem dort, wo die Resultate des Gutachtens nicht den Erwartungen entsprächen. «Wir gehen das ergebnisoffen an, es braucht eine mehrheitsfähige Vorlage.» Inhaltlich zum Bericht äussern wolle sich der Bundesrat erst im Januar.
ETH-Gutachten: Abgelehnte Autobahnprojekte teils dringend nötig
Im November 2024 lehnte das Stimmvolk sechs Autobahn-Ausbauvorhaben ab. Für einige dieser Projekte bestätigt das Gutachten, dass sie zweckmässig und dringlich sind. Genannt werden der Rheintunnel im Raum Basel und der Ausbau des Rosenbergtunnels in St. Gallen. Der Ausbau der A1 zwischen Bern-Wankdorf und Schönbühl BE auf acht Spuren wird ab 2045 empfohlen, sollte er aus finanzieller Sicht früher nicht möglich sein.
Auf der A1 zwischen Le Vengeron GE – Nyon VD hingegen raten die Experten zu einer Umnutzung des Pannenstreifens, um die Kapazität zu erhöhen. Das Parlament und gegebenenfalls auch das Volk könnten erneut über diese Projekte befinden, sagte Verkehrsminister Albert Rösti zur Wiederaufnahme. Das Nein vom November löse die Probleme nicht.
Bis Ende Januar 2026 muss das Uvek Projekte vorschlagen, die in die Nationalstrassen- und die Bahninfrastruktur-Ausbauschritte sowie ins fünfte Programm Agglomerationsverkehr aufgenommen werden sollen. Eine für alle Verkehrsträger gemeinsame Vernehmlassungsvorlage soll Ende Juni 2026 vorliegen. Darin will der Bundesrat einen Ausbauschritt 2027 für Strasse, Bahn und Beiträge ans Programm Agglomerationsverkehr beantragen und einen Ausblick auf die weiteren Ausbauschritte 2031 und 2035 vornehmen.
Der Bundesrat will mit diesem Vorgehen die gesamtheitliche Planung aufzeigen. Gedacht ist laut Verkehrsminister Rösti, dass das Parlament ab 2027 erste Entscheide fällen kann. Für Strasse und Schiene soll es separate Beschlüsse geben, zu denen dann je ein Referendum möglich ist.
Kantone loben ganzheitlichen Mobilitätsansatz
Die Kantone begrüssten die ganzheitliche Betrachtung der Mobilität und die Fokussierung auf die Bedürfnisse der Menschen. Die Grünen vermissten im Gutachten die dringend nötige Diskussion über eine nachhaltige Zukunftsvision der Mobilität. Der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) forderte statt Ausbauten im Nationalstrassennetz eine Priorisierung von Projekten für Bahn-, Bus-, Velo- und Fussverkehr, und die SP verlangte Priorität für Bahnprojekte und Vorhaben in den Agglomerationen.
Die Interessengemeinschaft öffentlicher Verkehr will, dass der Bahninfrastrukturfonds um zehn Milliarden auf 24 Milliarden aufgestockt wird, für wichtige Ausbauten. Der Bericht schaffe eine wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur, schrieb der Touring-Club Schweiz (TCS). Besonders positiv sei, dass das Papier straffere Planungs- und Bewilligungsprozesse empfehle.