Bundesrat Alain Berset will die Gesundheitskosten drosseln. Dafür schlägt er massive Einschränkungen der freien Arztwahl vor. Ärzte und Parteien laufen Sturm.
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Gesundheitsminister Alain Berset. (Archivbild) - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Gesundheitsminister Alain Berset will die freie Arztwahl eingrenzen.
  • Nun stellen sich Ärzte, Krankenversicherer und Parteien gegen seine Pläne.

Die Schweiz befindet sich in einer ihrer grössten medizinischen Krisen. Und ausgerechnet jetzt strebt Bundesrat Alain Berset eine tiefgreifende Revision des Gesundheitssystems an.

Seine Forderung: Die Einschränkung der freien Arztwahl. Demnach müssten sich künftig alle Patienten erst an eine sogenannte Erstberatungsstelle wenden. Dies kann ein Hausarzt, eine HMO-Praxis oder ein telemedizinisches Zentrum sein.

Hausarzt
Der Bundesrat will, dass künftig Erstberater über das weitere Vorgehen der Patienten entscheiden. - Keystone

Die Akteure bestimmten, ob weitere Untersuchungen oder Behandlungen notwendig sind. Für diese Aufgabe werden sie mit einer Pauschale pro Patienten entschädigt – unabhängig davon, ob letztlich wirklich weitere Massnahmen braucht.

70 Prozent der Versicherten nutzen Modell bereits

Heute können Patientinnen und Patienten selbst entscheiden, ob sie erst einen Spezialisten, ihren Hausarzt oder aber eine Beratungsstelle konsultieren. Letzteres ist vor allem für jene interessant, die eine tiefere Prämie wollen – und das sind hierzulande gut 70 Prozent.

Nun will Alain Berset für alle Versicherten dasselbe Modell. Von einer Einschränkung der Arztwahl will er aber nicht sprechen: «Es ist keine Einschränkung, indem Sie immer einen Zugang zu guten Spezialisten haben», sagte er gestern vor den Medien.

Spital
In der Schweiz befinden sich die Gesundheitskosten auf einem sehr hohen Niveau. - Keystone

Ziel des neuen Modells sei es, unnötige Behandlungen zu vermeiden und damit die Qualität der Versorgung zu erhöhen. Analog würden auch die Gesundheitskosten minimiert – und zwar um rund eine Milliarde Franken.

Indirekter Gegenvorschlag zur CVP-Initiative

Gleichzeitig dient das Massnahmenpaket auch als indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen» der CVP. Diese sieht vor, dass die Gesundheitskosten nicht stärker als die Löhne steigen.

CVP-Initiative
Stefan Müller-Altermatt (CVP/SO), rechts, und Charles Juillard (CVP/JU), Mitte, und die Schachteln mit den Unterschriften fotografiert während der Einreichung der CVP Initiative «Für tiefere - Keystone

Der indirekte Gegenvorschlag des Bundesrates sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, heisst es in einer Mitteilung vom Mittwoch. Ein entschiedenes Angehen der Kostenexplosion im Gesundheitswesen sehe aber anders aus.

Die Zielvorgaben reichten nicht aus, um die Kosten in Griff zu bekommen. Das gilt laut CVP vor allem dann, wenn die Kantone nicht verpflichtet werden, bei einer Kostenüberschreitung Gegensteuer zu geben.

Krankenversicherer warnen vor Verstaatlichung des Gesundheitswesens

Auch die Krankenversicherer lehnen Bersets Vorhaben ab. Der Kassenverband Curafutura warnt vor «behinderten Wettbewerb, verschlechterten Rahmenbedingungen und Verstaatlichung des Gesundheitswesens». Die Krankenversicherer hätten mit den Leistungserbringern bereits funktionierende Modelle entwickelt. Mit der Verpflichtung zur «Erstberatung Gesundheit» werde jedoch der mögliche Spielraum in der Entwicklung innovativer Versorgungsmodelle behindert.

Krankenkassen
Deshalb werden die Krankenkassenprämien in ländlichen Gebieten und kleinen Städten weiter tiefer sein als in den grossen Städten. (Symbolbild) - keystone

Auch Santésuisse, der andere grosse Krankenkassenverband, äusserte sich in einer ersten Stellungnahme skeptisch zum Gatekeeper-Modell. Die Wahlfreiheit der Patienten sei ein zentraler Wert, den man nicht leichtfertig aufgeben sollte. Man werde den Vorschlag bezüglich Auswirkungen auf Patientinnen und Prämienzahlende genau prüfen.

Felix Schneuwly, Kassenexperte bei Comparis, nennt Alain Bersets Vorhaben einen «Zwang». Er muss «den Kassen mehr Spielraum geben». So würden sich die Kosten automatisch gerecht verteilen.

Halten Sie die Einschränkung der freien Arztwahl für sinnvoll?

Die Einschränkung der freien Arztwahl provoziert auch Kritik bei den Ärzten. Ihre Angst: Das die Kantone bei den Erstberatungsstellen eine Vorauswahl treffen, sagt die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte auf Anfrage. Dies könne insbesondere zu einer Benachteiligung chronisch kranker Patienten führen, die auf eine langfristige Patienten-Arzt-Beziehung angewiesen seien.

Patientenorganisation steht hinter Alain Berset

Ganz anders tönt es bei der Schweizerischen Patientenorganisation (SPO). «Sehr sinnvoll» nennt Geschäftsführerin Susanne Gedamke am Mittwoch gegenüber Radio SRF den Vorschlag von neuen kantonalen Erstberatungsstellen. «Die freie Arztwahl wird ja nicht komplett eingestellt», sagt Susanne Gedamke. «Denn nach der Triagierung ist die Wahl des Spezialisten ja wieder möglich.»

Arzt
Heute wählt bereits die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer ein günstigeres Hausarztmodell. - Keystone

Hinzu komme, dass heute bereits etwa zwei Drittel der Versicherten diese Einschränkung der Arztwahl freiwillig auf sich nehme. Etwa indem sie sich für ein günstigeres Hausarztmodell entscheiden. Wie die SPO sich letztlich zur Vorlage stellen werde, könne sie erst nach dem Studium der nun angelaufenen Vernehmlassungsvorlage sagen.

Erster Versuch scheiterte

Fest steht: Mit dem neuen Massnahmenpaket hat Bundesrat Berset – einmal mehr – ein ideologisches Feuer entfacht. Denn bereits 2012 legte der 48-Jährige dem Volk die sogenannte Managed-Care-Vorlage vor.

Das Resultat: 76 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sagten Nein. Das war die erste grosse Niederlage von Alain Berset als Gesundheitsminister. Bleibt also abzuwarten, ob nun die nächste folgt.

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