Viele Ukrainer fühlten sich in Deutschland nicht willkommen, hat Botschafter Melnyk gesagt. Dem widerspricht Peter Sloterdijk. «Sehr unwohl» fühlt er sich zudem bei der deutschen Berichterstattung über den Krieg.
Der Philosoph Peter Sloterdijk spricht über die Rolle Deutschlands im Ukraine-Krieg.
Der Philosoph Peter Sloterdijk spricht über die Rolle Deutschlands im Ukraine-Krieg. - Roland Schlager/APA/dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Der Philosoph Peter Sloterdijk hat dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk widersprochen, demzufolge sich viele Ukrainer in Deutschland nicht willkommen fühlen.

«Das ist, glaube ich, ganz unrichtig», sagte Sloterdijk der Deutschen Presse-Agentur.

«Wir selber haben auch mehrfach Flüchtlinge aufgenommen, und wir kennen Leute, die es ebenfalls getan haben. Wir wissen aus erster Hand, dass Gefühle des Nichtwillkommenseins eher die Ausnahme als die Regel sind. Im Gegenteil, es existiert nach wie vor eine ganz grosse Welle der Freundlichkeit und der Hilfsbereitschaft.»

Melnyk hatte im «Bild»-TV gesagt, die meisten Ukrainer würden längst aus Deutschland zurückkehren. Es seien mehr Menschen, die abreisten als dazukämen. «Und ich glaube, dass Sie sich auch Gedanken machen sollten über die Gründe», sagte er. «Ich glaube, das ist auch klar für viele Ukrainer, wieso sie keine Lust haben, hier zu bleiben.» Auf die Frage «Sie fühlen sich nicht willkommen?» antwortete er: «Nein.»

Deutsche als «freundliche Gastgeber»

Sloterdijk sagte dazu: «Noch immer sind rund eine halbe Million Ukrainer bei uns, und wenn viele schon in die Westukraine zurückgekehrt sind, dann weil sie von Anfang an nur temporär als Schutzsuchende gekommen waren, nicht als Emigranten.» Die Deutschen hätten sich «in einer erstaunlich eindeutigen Weise als freundliche Gastgeber profiliert».

Der 74 Jahre alte Sloterdijk, Autor wegweisender Werke wie «Kritik der zynischen Vernunft», sagte, es liege in der Natur der Dinge, dass die ukrainische Seite versuche, «den Westen in den Krieg hineinzureden». Dies gelte sowohl für Präsident Wolodymyr Selenskyj als auch für Melnyk. «Gerade den Deutschen werfen sie mehr als allen anderen Seiten vor, noch nicht Kriegspartei geworden zu sein, weil sie in Deutschland das schlechte Gewissen und die Neigung zum Einknicken verspüren.» Willige Mitarbeiter fänden sie dabei in deutschen Journalisten. «Wie enttäuschte Theaterbesucher, die gern mehr Spektakel gesehen hätten, werfen manche Journalisten dem Kanzler Scholz seine vorsichtige Haltung vor.»

Ihm sei bei der gesamten Berichterstattung «sehr unwohl», kritisierte er. «Man hört kaum noch Gegenstimmen, Stimmen, die zur Mässigung mahnen», kritisierte Sloterdijk. «Man denke daran, in wie unfairer Weise man versucht hat, die Initiatoren des Offenen Briefes von Alice Schwarzer zu diskreditieren.» Die Unterzeichner des Briefes hatten an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) appelliert, keine schweren Waffen an die Ukraine zu liefern.

Ambivalente Situation

Die derzeitige Situation sei konfus, sagte Sloterdijk. Die westlichen Länder hätten sich auf der einen Seite dazu bringen lassen, «rhetorisch eine Art bedingungsloser Solidarität mit der Ukraine zu deklarieren». Auf der anderen Seite seien sie entschlossen, nicht selbst Kriegspartei zu werden. In dieser Ambivalenz bewege sich die gesamte derzeitige Ukraine-Diskussion. Seine eigene Haltung umriss Sloterdijk mit den Worten: «Die Lieferung schwerer Waffen wäre doch mehr oder weniger gleichbedeutend mit dem offenen Eintritt in die Position der Kriegspartei. Wenn westliche Politiker davor bisher zurückgeschreckt sind, hat das gute Gründe. Deutschland steht hier keineswegs allein, auch Frankreich und die USA waren sich bisher darin einig, bei den schweren Waffen Zurückhaltung zu üben.»

Über den russischen Präsidenten Wladimir Putin sagte Sloterdijk, es habe selten einen Politiker gegeben, «bei dem die Lüge einen so grossen Anteil seiner sprachlichen Äusserungen ausmacht». Putin sehe sich als Wiederhersteller einer «russischen Welt», die jedoch weitgehend fiktiver Natur sei. «Er fabuliert sich eine Historie zusammen, ganz in einem Modus, wie es halbgebildete Personen, die zufällig an die Macht gekommen sind, zu tun pflegen. Seine Reflexionen stehen auf dem Niveau der rabulistischen Tischgespräche Hitlers – die kann man strukturell durchaus vergleichen.»

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