Johann Wilhelm Ludwig Gleim: Ein Netzwerker wird 300
Zu seinen Lebzeiten war Gleim einer der meistgelesenen Autoren. Und pflegte Freundschaften wie kaum ein anderer. Ein Literaturmuseum und Archiv erklärt jungen Menschen, warum sie dem Vertreter der Aufklärung gar nicht so unähnlich sind.

Das Wichtigste in Kürze
- Zu seinem 300.
Geburtstag wird Johann Wilhelm Ludwig Gleim auch auf Instagram aktiv. Bei Facebook ist er schon längst und berichtet in der Ich-Form.
Und bald wird man seine Freunde, die er einst als Porträts verewigen liess, auch hören können, zu Fragen wie Freundschaft, Streit und Persönlichem. Alles ganz interaktiv.
Das Gleimhaus in Halberstadt (Sachsen-Anhalt), eines der ältesten deutschen Literaturmuseen, versucht, seinen Besuchern auf modernem Weg den Netzwerker, Dichter, Sammler und Freundschaftsprofi nahe zu bringen. Das Haus geht weit über die üblichen Ausstellungen hinaus, um Menschen für den heute weithin unbekannten Vertreter der Aufklärung zu gewinnen.
Kommunikation war Gleims (1719-1803) Stärke in einer Zeit, in der in Halberstadt zweimal pro Woche die Postkutsche vorbeikam, auf der Ost-West-Route gen Berlin. Er sei ein Vielschreiber gewesen, der nachgewiesenermassen mit 550 Frauen und Männern korrespondierte, sagt die Leiterin des Gleimhauses, Ute Pott. Als «Genie der Freundschaft» bezeichnet sie Gleim - und schafft damit neben der Kommunikation eine weitere Parallele zum Hier und Jetzt.
«Unsere Erfahrung mit unseren Besuchern ist, dass kaum jemand zuvor etwas von Gleim gehört hat», berichtet der wissenschaftliche Mitarbeiter Reimar Lacher. Und er hat einen guten Überblick über die 10.000 Gäste im Jahr. «Es ist ein Phänomen: Zu Lebzeiten war er ungeheuer berühmt und einer der meist gelesenen Dichter seiner Zeit. Und durch die Literaturgeschichte gab es einen eklatanten Verfall seines Renommees.» Geblieben seien aber die Werte des Networkings und der Freundschaft: «Das bekommt man nirgendwo auf der Welt derart eindrücklich vor Augen geführt.»
Gleim, der von Berlin nach Halberstadt umgezogen war, brachte seine Freunde als Porträts mit in seinen Freundschaftstempel. In drei Räumen seines ehemaligen Wohnhauses am Halberstädter Dom hängte er die Wände voll mit den Bildern. Lessing, Klopstock, Herder, Jean Paul, Anna Louisa Karsch: Von Angesicht zu Angesicht schrieb er ihnen Briefe. Museumsleiterin Pott vergleicht das mit den Profilbildern auf Facebook heute. Das Museum wird nun um eine interaktive Audio-Installation ergänzt. Per Sprachbefehl können Besucher künftig 30 ehemalige Weggenossen Gleims zum «Sprechen» bringen. Zu hören sind dann Ausschnitte aus den historischen Briefwechseln mit Gleim.
Gleim300 heisst das Jubiläumsprogramm in Halberstadt. Am 2. April, Gleims Geburtstag, wird es einen Festakt geben, die «Sprechenden Bilder» gehen in Betrieb. Eine Gleimnacht ist kurz darauf geplant und ab Juni die Ausstellung «Scherz - die heitere Seite der Aufklärung».