Waren die frühen Christen genauso schlimm wie heutige Islamisten? In einem Aufsehen erregenden Buch erzählt die Historikerin Catherine Nixey von christlichen Bilderstürmern, verbohrten Ideologen und fanatischen Kirchenvätern in der Spätantike
«Heiliger Zorn. Wie die frühen Christen die Antike zerstörten» von Catherine Nixey. Foto: DVA
«Heiliger Zorn. Wie die frühen Christen die Antike zerstörten» von Catherine Nixey. Foto: DVA - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die Angreifer kamen aus der Wüste.

Sie waren bärtig, schwarz gekleidet und von wildem Glaubenseifer beseelt. Ihr Ziel waren die «heidnischen» Tempel der Oasenstadt Palmyra.

Die Statue der Göttin Athene war in ihren Augen ein frevelhaftes Götzenbild, das es zu zerstören galt. Mit heiligem Zorn machten sich die «Rechtgläubigen» ans Werk, sie köpften die Göttin und zertrümmerten ihren Körper in tausend Einzelteile. Nachdem sie ihr Vernichtungswerk beendet hatten, verschwanden die finsteren Gestalten wieder in der Wüste. So beginnt Catherine Nixeys Buch «Heiliger Zorn».

Und wer denkt bei dieser Schilderung nicht an den IS, der 2015 über das antike Palmyra herfiel und unermesslichen Schaden anrichtete? Doch tatsächlich beschreibt die Autorin hier eine Szene aus dem Jahr 385 nach Christus. Und die Gotteskrieger waren keine Islamisten, sondern Christen. Die frühen Christen, so Nixeys These, waren mitnichten die friedliebenden, von den Römern grausam verfolgten Aussenseiter, als die sie sich darzustellen beliebten und wie es von den christlichen Chroniken unisono überliefert wird.

Tatsächlich waren sie intolerante Eiferer, die keine andere Weltanschauung neben der eigenen duldeten und die - als sie erst einmal die Macht dazu hatten - Andersgläubige bekehrten und unterdrückten. Nichtchristliche Philosophen wurden gnadenlos verfolgt und manchmal sogar getötet, römische und griechische Tempel geschändet, kostbare Kunstwerke für immer zerstört und antike Schriften, die nicht ins christliche Weltbild passten, unterschlagen und der Nachwelt vorenthalten.

Nixeys Buch, das jetzt auf Deutsch vorliegt, hat bereits bei seinem Erscheinen 2017 in Grossbritannien und den USA für einiges Aufsehen gesorgt. Dabei sind ihre Erkenntnisse so neu nicht. Schon Edward Gibbon hatte Ende des 18. Jahrhunderts in seinem berühmten Werk «Verfall und Untergang des römischen Imperiums» am Mythos der christlichen Frühkirche gerüttelt und deren «gleichgültige, ja fast schon kriminelle Geringschätzung des Staatswohls» gegeisselt. Vor gut 20 Jahren kam der deutsche Theologe Karlheinz Deschner mit seiner zehnbändigen wütenden «Kriminalgeschichte des Christentums».

Doch Nixeys Buch ist deutlich schlagkräftiger. Denn die studierte Althistorikerin weiss als Journalistin bildhaft und punktgenau zu formulieren. In den Quellen sattelfest, bereitet sie Geschichte auf exzellente Weise für ein breites Publikum auf. Das erklärt ihren Erfolg. Nixey stürzt reihenweise christliche Säulenheilige. Wer kennt nicht den heiligen Martin? Zum Bild des mildtätigen Bischofs, der seinen Mantel der Legende nach mit einem armen Mann auf der Strasse teilte, will es so gar nicht passen, dass er als blindwütiger Tempelzerstörer in Frankreich auftrat.

Fast noch schlimmer war das Wirken des Patriarchen von Alexandria, Theophilos. Der eifernde Gottesmann war der Anführer einer Gruppe christlicher Fanatiker, die 392 n.Chr. eines der grössten Wunder der antiken Welt zerstörte, den heute nur noch Spezialisten bekannten Serapis-Tempel in Alexandria. Im Namen von Jesus Christus kam es auch zu grausamen Morden. Eines der scheusslichsten Verbrechen, dessen sich Christen in der Spätantike schuldig machten, war der Lynchmord der als Hexe und Zauberin denunzierten Philosophin und Mathematikerin Hypatia.

In den christlichen Schriften wird man von all dem nicht viel oder nur verzerrte Darstellungen finden. Die geistigen Brandstifter sassen in den Schreibstuben. Die Autorin zitiert reihenweise aus den Schriften von verehrten Kirchenvätern wie dem heiligen Augustinus oder Johannes Chrysostomos, in denen es oft weniger um Friedfertigkeit als um Vernichtungsfantasien gegenüber «Heiden» ging. Die Christen stilisierten sich zu Opfern: Hartnäckig halten sich bis heute gruselige Märtyrergeschichten, die zum grossen Teil völlig frei erfunden oder fantasievoll ausgeschmückt sind.

Nixey hat ihr Buch tatsächlich in «heiligem Zorn» geschrieben. Eine gewisse Einseitigkeit und Polemik muss man ihr leider vorhalten. Ihre Vorliebe für die vorchristliche antike Welt mit ihrer Vielfalt an philosophischen Schulen und Religionen in friedlicher Koexistenz ist absolut verständlich. Doch sie unterschlägt dabei die weniger angenehmen Aspekte römischer Herrschaft und erklärt auch nicht, warum das Christentum gerade für einfache Menschen so faszinierend und deshalb so erfolgreich war. Trotzdem: Ihr Buch enthält viele unbekannte Fakten und ist deshalb sehr lesenswert.

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