Hegemanns «Bungalow» in Düsseldorf auf der Bühne
Helene Hegemanns Roman «Bungalow» läuft auf der Bühne. Das Düsseldorfer Schauspielhaus zeigt eine Adaption.

Das Wichtigste in Kürze
- Grelles Scheinwerferlicht blendet von der Bühne ins Publikum, dann ein lauter Knall wie von einer Explosion.
«Jetzt ist es passiert», stellt eine etwas kratzige Stimme lakonisch fest - und damit beginnt die Bühnenadaption des Helene-Hegemann-Romans «Bungalow», die jetzt Düsseldorfer Schauspielhaus läuft.
Die Stimme gehört zu dem Mädchen Charlie. Charlie kauert auf dem Boden und hält sich einen Scheinwerfer unters Kinn, was den Kopf wie eine geisterhafte Laterne wirken lässt.
Was nun eigentlich passiert ist bei dem Knall, erfahren die Zuschauer der «Bungalow»-Adaption zunächst nicht. Die karge Bühne verrät auch keinen konkreten Ort, an dem die folgende, etwa 100-minütige Geschichte spielt. Ein paar wenige Sitzelemente sind das einzige Mobiliar des düsteren Verwahrlosungs-Szenarios, das sowohl in der Gegenwart als auch in einer dystopischen Zukunft spielt.
Charlie ist die Tochter einer schizophrenen, alkoholkranken Mutter. Der Vater ist nach der Scheidung weg. Mutter und Tochter hausen mit Wohnberechtigungsschein in einer Hochhaussiedlung mit Blick auf eine Gruppe edler Bungalows, in denen die Upper Class lebt. Charlies Alltag ist geprägt von Armut, den Stimmungsschwankungen der Mutter, und Charlies Freundschaft zu Iskender (Jonas Friedrich Leonhardi) bietet auch keinen Halt.
Als in einem der Luxus-Bungalows gegenüber ein glamouröses Schauspieler-Ehepaar einzieht, sieht Charlie einen Ausweg. Sie verliebt sich in das Paar, nähert sich an und beginnt mit beiden eine Liebesaffäre. Doch am Ende, nachdem eine Explosion durch einen erweiterten Suizid das ganze Viertel inklusive der Bungalows verwüstet hat, kehrt Charlie zu ihrer Mutter zurück.
Auch in ihrem dritten Roman «Bungalow» erzählt Helene Hegemann von verwahrlosten Jugendlichen, der Roman vom letzten Jahr stand auf der Longlist des deutschen Buchpreises und wurde in den Feuilletons kontrovers diskutiert. Fast zehn Jahre ist es her, dass Hegemann mit ihrem Debütroman «Axolotl Roadkill» einen Skandal auslöste und damit die Literaturwelt spaltete in jene, die Hegemann für ein Schreibgenie, und jene, die sie für eine Plagiatorin hielten.
Die Aufregung von damals hat sich längst gelegt, Hegemann gilt inzwischen als seriöse Autorin, doch «Bungalow» kann sich nicht entscheiden zwischen einer gewaltsam und manchmal auch zarten coming-of-age-Geschichte, einem dystopischen Roman und einer knallharten Sozialreportage.
Dem weiss auch Simon Solbergs Bühnenadaption wenig entgegenzusetzen. Solberg erzählt die Geschichte, die in der erzählten Zeit etwa zehn Jahre umfasst vom Ende her, wie sich bald herausstellt. Er springt hin und her im Stoff und findet durchaus ästhetisch sinnfällige Bilder, um das Geschehen zu verklammern.
Charlies Mutter, die Judith Rosmair in jeder Hinsicht furios verkörpert, malt gespenstische schwarz-weisse Papier-Bilder mit schreienden Gesichtern, die teils an Edvard Munch erinnern, stürzt aber immer wieder kopfüber hinein in ihre Werke und schleift die Bilderrahmen um den Hals hängend umher. Auch der abwesende Vater (Florian Lange) beschäftigt sich mit Papier, nagt an Esspapier, zerpflückt Zettel, klebt sie an sich selbst fest und fertigt am Ende eine Art Scherenschnitt, in dem man einen Mann mit einem Kind an der Hand erkennen kann.
An der rückwärtigen Bühnenwand entstehen immer wieder von Geisterhand krakelige Kinder-Kreidezeichnungen. Und Charlie (grandios: Lea Ruckpaul) angelt auch dauernd nach Zetteln, auf denen sie ihre Geschichte aufschreibt. Das glamouröse Schauspieler-Ehepaar wird im Roman als souverän-punkig beschrieben, wird in Solbergs Regie aber seltsam flach gezeichnet: Georg - der aalglatte Sebastian Tessenow - und Maria - die gelangweilte Minna Wündrich - trinken Schampus und wirken an allem desinteressiert. Schwer nachvollziehbar, was Charlie an dem Paar so fasziniert.
So schwankt der Abend zwischen starken Momenten, die fast ausnahmslos die desolate Kern-Familie betreffen und sich Lea Ruckpauls enormer Bühnenpräsenz verdanken, und kalauernden Unterhaltungsblöcken, die aber keinerlei Schärfe entwickeln.
Und Helene Hegemann ist eben doch nicht die weibliche, deutsche Antwort auf Michel Houllebecq, dessen Romane ähnliche Themen umkreisen, in ihrer Schärfe aber so viel unerbittlicher sind und zugleich eine echte Eleganz jenseits billiger Kalauer entwickeln. Deshalb überleben Houllebecqs Romane auch ihre Bühnenadaptionen nahezu unbeschadet. Dennoch grosser Applaus im wieder eröffneten Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses.