Friedrich Ani erweist gequälten Frauen die «Letzte Ehre»
Ein junges Mädchen verschwindet. Damit beginnt in Friedrich Anis Roman «Letzte Ehre» eine Reihe ineinander verwobener Ermittlungen. Alle Fälle haben eines gemeinsam: Die Opfer sind Frauen.
Das Wichtigste in Kürze
- Die 17-jährige Finja ist spurlos verschwunden.
Der Freund ihrer Mutter hatte ihr und ihren Freundinnen sein Haus am Münchner Stadtrand für eine Wochenendparty zur Verfügung gestellt, weil er selbst mit Freunden ein Junggesellenwochenende verbrachte. Am Montagmorgen taucht Finja nicht in der Schule auf. Auch bei ihrer Mutter oder ihren Freundinnen meldet sie sich nicht.
Mit der Aufgabe, Finja zu finden, betraut die Polizei Fariza-Marie Nasri. Die Kommissarin, genau wie ihr Erfinder Friedrich Ani mit bayerischen und syrischen Wurzeln ausgestattet, war schon in mehreren von Anis Romanen eingesetzt worden. In seinem neuen Roman «Letzte Ehre» gibt Ani ihr die Rollen als Hauptfigur und Erzählerin.
Allerdings ist die Polizistin von ihrer eigenen Rolle alles andere als überzeugt: «Manchmal denke ich, das einzig Wahre in meinem Leben sind die Lügen. Meine Lügen und die der Anderen, denen ich gezwungen bin zuzuhören. Sie glauben, sie bekämen von mir eine Form von Erlösung to go; stattdessen schenke ich ihnen meine blendend verpackte Lüge in Gestalt einer scheinbar unfassbar geduldigen Kommissarin.»
Der erste Teil des Romans besteht zum grüssten Teil aus Farizas Vernehmungen. Besonders mit einem Gesprächspartner befasst sich die Kommissarin: Ani stellt den Hausbesitzer als dermassen überheblich und frauenverachtend dar, dass man ohne Weiteres Farizas Wunsch versteht, ihn zu bestrafen. Dazu kommt es zwar nicht, da es eine andere Erklärung für Finjas Verschwinden gibt, aber was die Polizistin dem Mann an schlimmstem Fehlverhalten nachweist, ist unglaublich.
Mehr als ein Krimi
Schon bald, nachdem Finjas Verschwinden aufgeklärt ist, hat Fariza den Mann schon wieder als Zeugen zum Gespräch bei sich. Allerdings in einer ganz anderen Angelegenheit, denn der Mann war in eine Kneipenschlägerei verwickelt. Bei einer Routineuntersuchung finden die Ermittler Spuren, die zu einem mehr als zehn Jahre zurückliegenden ungeklärten Todesfall führen.
In den Mittelpunkt von Farizas kriminalistischem Interesse gerät eine ältere Frau, die ihr von einem Leben erzählt, das von abgrundtiefem Leid und Elend geprägt ist. Auch wenn es hier um die Möglichkeit eines Verbrechens geht, so ist «Letzte Ehre» längst kein Kriminalroman mehr. Das seelische Drama der Frau ist überwältigend, aber Fariza erkennt Parallelen zu Erlebnissen, die sie auch in ihrer eigenen Jugend beobachtet hat. Ani hat die allgemeine Bedeutung dieser ebenso unglaublichen wie ungeheuerlichen Problems meisterhaft im Roman dargestellt.
Aber die Ermittlerin ist nicht erleichtert, als sie den Fall mit der älteren Frau an Kollegen übergeben kann. Erleichterung erscheint ihr in ihrem Beruf undenkbar: «Wir haben gelernt hinzusehen, hinzuhören, auf alles gefasst zu sein, uns anzupassen ans Unvorstellbare oder tatsächlich Grauenhafte. Wer davon ein Gewese macht, ist falsch in unserer Liga».
Düstere Welt
Wie zum Beweis ihrer These muss sich die einsame und unangepasste Polizistin mit einem Fall befassen, der ihr persönlich sehr nahe geht. Als ihre engste Freundin in ihrer eigenen Wohnung überfallen und fast zu Tode geprügelt wird, zeigt sich Fariza Nasri als klassische Krimi-Ermittlerin. Auch wenn sie wegen persönlicher Betroffenheit von dem Fall abgezogen wird, verfolgt sie Spuren und Verdächtige und überführt schliesslich auch den Täter. Aber das ist gar nicht so wichtig wie das, was ihr dieser Fall persönlich bedeutet.
Die Welt, in der Friedrich Ani die Episoden seines Romans spielen lässt, ist düster. Frauen sind ständig in Gefahr, ausgebeutet, misshandelt oder getötet zu werde, und den Männern, die ihnen dies antun, geht es nicht viel besser. Nur selten gibt es einen Hoffnungsschimmer. Aber dennoch gelingt es Ani, das Buch mit einem positiven Moment zu beenden. Ein intensiver Text findet so seine Abrundung.
- Friedrich Ani: Letzte Ehre. Suhrkamp Verlag, Berlin, 270 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-518-42990-7.