Der Philosoph Jürgen Habermas feiert in der kommenden Woche seinen 95. Geburtstag. Wegbegleiter erleben ihn als noch immer «geistig punktgenau fixiert».
Jürgen Habermas
Jürgen Habermas, deutscher Philosoph, - dpa

Wegbegleiter erleben Jürgen Habermas trotz hohen Alters als rege und humorvoll. Ein Band mit Gesprächen will sein Denken auch Laien nahebringen. Am 18. Juni wird der Philosoph und Soziologe, der als bedeutendster deutscher Denker gilt, 95 Jahre alt.

Selbst in diesem hohen Alter hat sich Jürgen Habermas nicht zur Ruhe gesetzt. «In irgendeiner Arbeit steckt er immer», sagt Romam Yos, der zusammen mit Habermas und dessen Biografen Stefan Müller-Doohm an einem Gesprächsband für den Suhrkamp Verlag arbeitet.

Er erlebe ihn als «sehr rege, sehr wach, geistig punktgenau fixiert», schildert Yos der Deutschen Presse-Agentur. Habermas selbst gibt nach Auskunft seines Verlags keine Interviews mehr.

Rege Anteilnahme am Geschehen

Verstummt ist der grosse Denker aber keineswegs. Ein Mammutwerk wie das 2019 erschienene 1775-Seiten-Opus «Auch eine Geschichte der Philosophie» plane er nicht mehr. Aber immer wieder meldet er sich mit Essays für grosse Tageszeitungen oder wissenschaftliche Publikationen zu aktuellen Themen zu Wort.

Corona, der Ukraine-Krieg, der Nahost-Konflikt haben ihn in den letzten Jahren beschäftigt. «Er kann nicht nicht politisch denken», sagt Yos, der am Lehrstuhl für Kulturphilosophie in Wuppertal arbeitet.

Das Ringen um Verständigung

Dass der Name Habermas so vielen Menschen bekannt ist, liegt auch daran, dass es eigentlich zwei von ihm gibt: den Philosophen, dessen wissenschaftliches Werk für Laien «voraussetzungsreich und sperrig» erscheinen mag, wie Yos es formuliert – und den öffentlichen Intellektuellen, der sich in tagesaktuelle Debatten einschaltet.

Dass seine Einlassungen mit langem Atem ausargumentiert sind und sich nicht auf eine Schlagzeile verkürzen lassen, versteht sich von selbst. Dass er sich damit auch Kritik aussetzt, kalkuliert er ein und ist sogar gewünscht.

Denn die Debatte, der Austausch von Argumenten, das Ringen um Verständigung ist für ihn auch als Philosoph eines seiner Kernthemen.

Von Düsseldorf an den Starnberger See

Gesundheitlich gehe es ihm für sein Alter erstaunlich gut, berichtet Yos. Auch seine nahezu gleich alte Ehefrau lebt noch, allerdings ist eines seiner drei Kinder kürzlich verstorben.

Seit Jahrzehnten lebt der am 18. Juni 1929 in Düsseldorf geborene Habermas am Starnberger See. Seine berufliche Tätigkeit ist vor allem mit Frankfurt am Main verbunden, wo er ab 1956 Forschungsassistent bei Max Horkheimer war und 1964 dessen Lehrstuhl übernahm.

Der ewige Glaube an die Vernunft

Die Schnelllebigkeit der sozialen Medien, die aggressiv aufgeheizte Debattenkultur, das Vordringen autoritärer Kräfte – all das muss ihm fremd sein, ihn vermutlich auch abstossen.

Dennoch glaube Habermas unverbrüchlich an das Konzept der Vernunft, sagt Yos. «Es gibt für ihn keine Alternative.» Allerdings habe er die ehemals überhöhte Vernunft-Idee quasi auf die Erde zurückgeholt in Form einer «detranszendentalisierten Vernunft».

Wem jetzt schon die Ohren klingeln, ist in grosser Gesellschaft. Seine bedeutendsten Schriften wie «Strukturwandel der Öffentlichkeit» (1962) oder die «Theorie des kommunikativen Handelns» (1981) sind ebenso einflussreich wie anspruchsvoll.

Im nicht deutschen Sprachraum wird Habermas nach Yos' Einschätzung bis heute als einer der bedeutendsten deutschen Denker wahrgenommen. Im philosophischen Fachdiskurs seines Heimatlands werde er inzwischen eher «historisch» wahrgenommen.

Kein öffentlicher Auftritt geplant

Öffentliche Auftritte sind zum 95. nach Angaben seines Verlags nicht geplant. Zum 90. hielt der Ex-Frankfurter einen Vortrag an der Goethe-Universität, dem 3000 Menschen in fünf Sälen lauschten – bis ein Feuer-Fehlalarm die Rede unterbrach.

Zusammen mit 700 Zuhörern verliess Habermas das Audimax – um dann seine Vorlesung über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Hegel, Marx und Kant völlig ungerührt kommentarlos fortzusetzen.

Veröffentlichung von Gesprächsband für September geplant

Seit 2021 sprechen und schreiben Müller-Doohm und Roman Yos mit Habermas an dem Gesprächsband «Es musste etwas besser werden ...». Der Band soll im September erscheinen; der Verlag kündigt ihn als «den perfekten Einstieg in den Habermas-Kosmos» an. Habermas erzählt von wegweisenden Lektüren und prägenden Kollegen.

Er gibt darin Auskunft über sein Denken und die Veränderungen, die es im Laufe der Jahrzehnte erfuhr. «So entsteht das Bild eines reichen Beziehungsgeflechts, das sich über grosse Teile der intellektuellen Landkarte des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart erstreckt.»

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

Ukraine KriegGeburtstagCoronavirusFeuerKriegErde