Aufsteigerepos aus dem Bayrischen Wald - «Die Unverhofften»
Als Rache für eine Vergewaltigung hat die Magd Maria die Unternehmerfamilie Hufnagel verflucht. Das Schicksal ihrer Nachkommen ist in dem epischen Familienroman «Die Unverhofften» dennoch eng mit der Familie verbunden.

Das Wichtigste in Kürze
- Mehr als ein Jahrhundert Familien-, aber auch Gesellschaftsgeschichte hat Christoph Nussbaumeder in seinem Roman «Die Unverhofften» zusammengetragen.
Auf fast 700 Buchseiten lässt er die Leser dem Schicksal einer Unternehmerfamilie wie auch dem der «kleinen Leute» in ihrer Umgebung folgen - wobei sich die Grenzen zwischen dem sozialen Oben und Unten als fliessend erweisen.
Mit seinem Roman zeichnet Nussbaumeder ein episches Abbild von sozialem und wirtschaftlichen Wandel in Deutschland. Dabei schafft er es sowohl sprachlich als auch inhaltlich, die Seichtheit mancher historischen Familienromane zu vermeiden und doch für eine breite Leserschaft zu schreiben.
Vom Jahr 1900 bis in die Gegenwart spannt der Autor den erzählerischen Bogen. Im Dorf Eisenstein im Bayerischen Wald, unweit der Grenze zum damaligen Böhmen, liegt die Glashütte der Familie Hufnagel. Hier arbeitet auch die Magd Maria, die vom Sohn des Hüttenbesitzers vergewaltigt wird. Als Rache brennt die junge Frau, die schon lange die Auswanderung nach Amerika geplant hat, nachts die Hütte nieder und flieht aus Eisenstein.
Das Schicksal der Familie Marias und der Hufnagels, so wird sich zeigen, ist gleich mehrfach verbunden. Denn in den Schlusstagen des Zweiten Weltkriegs flieht Marias Tochter Erna aus dem Sudetenland zu ihrem einzigen noch lebenden Verwandten, der als Knecht bei den Hufnagels arbeitet.
Nach dem Feuer in der Glashütte hat die Familie ein Sägewerk errichtet, das Josef Hufnagel leitet. Josef Hufnagel leidet unter der Kinderlosigkeit seiner Ehe und hat eine kurze Affäre mit Erna. Die wiederum ist von einem kommunistischen Deserteur, den sie auf ihrer Flucht traf, schwanger und lässt Josef glauben, er sei der Vater ihres Kindes.
Ernas Sohn Georg ist die eigentliche Hauptfigur des Romans, ein ehrgeiziger und tatkräftiger Mann, dem Josef schon als 18-jährigen das Sägewerk anvertraut, während er selbst mehr und mehr in der Politik ein neues Betätigungsfeld sucht. Als sich Georg und Josefs älteste Tochter Gerlinde ineinander verlieben, ist das für den Familienpatriarchen jedoch ein Unding, glaubt er doch, die beiden seien Geschwister.
Die Wirtschaftswunderjahre katapultieren Georg als Mann aus kleinen sozialen Verhältnissen nach ganz oben. Doch der Unternehmer, der in den Anfangsjahren noch selbst auf Baustellen mit anfasst und lange nichts von Krediten wissen will, weil er bei niemandem in der Schuld stehen will, ändert sich, je weiter er sich von seinen Wurzeln entfernt. Der Macher ordnet alles der Arbeit unter, selbst als Schicksalsschläge die Familien treffen, und wird erst im Alter und über seine Enkelin noch einmal eine Wende in seinem Leben herbeiführen.
Wirtschaftswandel, Arbeits- und Sozialpolitik, Wertedebatten Immobilienspekulationen, Profitstreben und Sinnsuche, selbst die Fridays for Future-Bewegung schaffen es in diesen Generationen übergreifenden Roman, der ohne Kitsch und Verklärung auskommt. Ganz am Ende geht es noch einmal zurück zu den Anfängen und klärt die letzten noch offenen Fragen nach dem Schicksal Marias zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
- Christoph Nussbaumeder: Die Unverhofften, Suhrkamp Verlag, Berlin, ca. 670 Seiten, 25 Euro, ISBN 878-3-518-42962-4.