Am vergangenen Donnerstag präsentierte der Dreigänger das Buch «Druffä». Darin erzählt der süchtige Pit aus seinem Leben – und warum er dennoch zufrieden ist.
Druffä
Das Team hinter dem Fotobuch «Druffä» (v.l.n.r.): Megan Adé (Grafik), Roland Reichen (Text), Peter Reichen (Text & Porträtierter), Jonathan Liechti (Fotograf), Simon Kauer (Druck) - Simon Kauer
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Seit über 25 Jahren ist Peter «Pit» Reichen «druffä», das heisst süchtig nach harten Drogen. Vor vier Jahren begann der damalige Fotografie-Student Jonathan Liechti Pit Reichen zu begleiten und dessen Leben zu dokumentieren. Gemeinsam mit Pits Bruder, dem Schriftsteller Roland Reichen, entstand so das Fotobuch «Druffä». Am vergangenen Donnerstag haben die drei gemeinsam ihr Projekt bei einer Buchvernissage im Liebefelder Dreigänger vorgestellt.

Nau.ch: Pit, wie wurden Sie süchtig?

Pit Reichen: Als ich 21 Jahre alt war, gab es in meinem Heimatdorf Spiez ein Mädchen, in das war ich ein wenig verliebt. Ich wusste, dass sie ab und zu Heroin schnupfte. Also wollte ich das auch mal probieren.

Über einen Freund habe ich für 100 Franken Heroin gekauft. Das hielt für zwei Wochen. Am Montag darauf erwachte ich mit Fieber, Schnupfen und Schüttelfrost. Als ich dann aber die letzten Reste des Heroins aus dem Plastikbeutel schnupfte, waren die Grippesymptome weg. Da wusste ich: «Scheisse, jetzt bin ich druffä».

Nau.ch: Sie leben nun schon seit einiger Zeit in einem betreuten Wohnen in Köniz. Wie sind Sie in der Wege Weierbühl gelandet?

Pit Reichen: Ich hatte bis 2011 eine eigene Wohnung in Bern. In den letzten Monaten habe ich aber leider einen Kokain-Dealer bei mir aufgenommen. Nach drei Verwarnungen wegen Anrufen und Besuchen mitten in der Nacht mussten wir dann gehen.

Ich kannte die Wege Weierbühl schon von einem Aufenthalt im Jahr 2002 und da es mir dort sehr gut gefallen hat, habe ich mich entschlossen zurückzukehren.

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Pit entspannt in seiner Wohnung. - Jonathan Liechti

Nau.ch: Was würde passieren, wenn Sie einen kalten Entzug machen würden, um clean zu werden?

Pit Reichen: Wenn eine Person regelmässig Heroin nimmt, hört der Körper nach rund vier Tagen auf, den körpereigenen, heroinähnlichen Stoff Endorphin zu produzieren. Setzt man das Heroin dann aber ab, braucht der Körper wieder rund vier Tage, um die eigene Endorphin-Produktion erneut in Gang zu kriegen.

Und in diesen vier Tagen leidet die Person unter Magenkrämpfen, Durchfall, Erbrechen, Zitteranfällen, Hitzewallungen – wie eine sehr, sehr schlimme Grippe.

Der Entzug kann aber bis zum Tod führen. Würde beispielsweise ich nach jahrelangem Heroinkonsum schlagartig aufhören – würde ich sehr wahrscheinlich sterben.

Nau.ch: Aber wie können Sie dann mehrere Tage am Stück Ihre Familie in Spiez besuchen?

Pit Reichen: Für diese Zeit – bis zu 21 Tage – kriege ich von der Abgabestelle Methadon. Dies fungiert als Ersatzdroge. Der Unterschied zum Heroin ist, dass Methadon nicht flasht, sondern einfach die Symptome des Entzugs lindert.

Nau.ch: Pit, wieso haben Sie sich dafür entschieden, bei dem Projekt von Jonathan Liechti mitzumachen?

Pit Reichen: Als mir mein Wege-Chef Barendjan van Harskamp von dem Fotoprojekt erzählt hat, war ich sofort begeistert. So etwas wollte ich schon lange machen. Um der Gesellschaft zu zeigen, was passiert, wenn man meinen Weg geht. Dass das nicht die beste Idee ist. Und bis jetzt habe ich diese Entscheidung nicht bereut.

Gerade die Zeit, die mich Jonathan durch die Stadt begleitet und fotografiert hat, habe ich sehr genossen. Es gab sogar mal zwei Mädchen, die sich hinter vorgehaltener Hand fragten, ob ich ein Promi sei. Das war schon sehr lustig.

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Pit spricht Passanten am Bahnhof Bern an. - Jonathan Liechti

Roland Reichen: Pit war schon immer sehr offen. Die ersten drei Monate hatte er mir seine Sucht noch verschwiegen, aber nach einem halben Jahr hat er mir und meinen Eltern immer «reinen Wein eingeschenkt». Meine ersten zwei Bücher spiegeln zum Teil Geschichten wider, die er mir erzählt hat.

Nau.ch: Jonathan, wie sind Sie auf die Idee zu dem Fotoprojekt gekommen?

Jonathan Liechti: Während meines Studiums an der Schule für Gestaltung in Bern sollte ich über längere Zeit an einem Projekt arbeiten. Ich wollte etwas Sinnvolles machen und bin dann im Alltag über die Thematik gestolpert.

Wenn man am Bahnhof von Leuten wie Pit nach ein paar Franken gefragt wird, ekelt man sich innerlich ein wenig und denkt: «So möchte ich nie werden». Man fällt ein Urteil über jemanden, ohne ihn zu kennen. Mit meinem Projekt wollte ich dem entgegenwirken. Zeigen, dass sich dahinter immer ein Mensch mit einem Leben, Wünschen, Träumen und einer Geschichte verbirgt.

Die Buchidee kam dann relativ schnell auch auf. Kurz nachdem ich Pit kennenlernte, stellte er mich seiner Familie sowie eben auch seinem Bruder Roland vor und zeigte mir dessen Bücher.

Dass die Umsetzung schwierig werden würde, wussten wir bereits von Anfang an. Die Finanzierung stellte uns vor Herausforderungen, da eine Fotobuchproduktion sehr aufwändig ist und sich in solch kleinen Auflagen nicht gewinnbringend verkaufen lässt. Dies, selbst wenn wir uns kein Honorar auszahlen.

Nau.ch: Pit, können Sie sich vorstellen, wie Ihr Leben aussehen würde, wenn Sie nie Drogen genommen hätten?

Pit Reichen: Nein, überhaupt nicht. Ich bin mit meinem Leben zufrieden. Gerade auch mit meiner Familie. Meine Sucht hat uns alle sogar noch näher zusammengebracht.

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Pit am Tisch mit seiner Mama. - Jonathan Liechti
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