Der Siegermuni von Schwingerkönig Christian Stucki wurde nicht alt. Er steht dabei symptomatisch für die Schweizer Zuchtmuni-Praxis. Ist das problematisch?
kolin
Siegermuni Kolin mit Schwingfest-Sieger Stucki. - Keystone
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Siegermuni von Christian Stucki landete bereits auf der Schlachtbank.
  • Werden Stiere aggressiv, schlägt ihr letztes Stündchen.
  • Ob diese Praxis problematisch ist, bleibt auch unter Experten umstritten.

Christian Stucki machte sich im Sommer 2019 unsterblich. Mit dem Sieg am Eidgenössischen krönte sich der Lysser zum Schwingerkönig. Zu seinem Sieg erhielt Stucki einen Siegermuni. Doch «Kolin» ist bereits tot.

Dem Zuchtstier wurde sein Temprament zum Verhängnis. Weil er plötzlich aggressiv gegen seinen Besitzer wurde, brachte ihn dieser zum Schlachter. Kolin ist nun wahrscheinlich eine Wurst.

«Nachdem ich diese Nachricht per SMS erhalten habe, ist mein Sohn Xavier in Tränen ausgebrochen», liess sich Schwingerkönig Stucki im «Blick» zitieren. Doch das Schicksal von Kolin ist nicht ungewöhnlich.

Aggressivität gehört zur Natur des Stiers

«Das aggressive Verhalten von Stieren ist natürlich. Es gehört ein Stück weit zur Rolle des Stiers als Beschützer der Herde», erklärt Katharina Friedli vom Zentrum für tiergerechte Haltung des BLV. «Dass Stiere mit der Zeit aggressiv werden können, ist nicht neu. Unfälle sind immer wieder passiert.»

Es komme tendenziell bei älteren Stieren vor. «Warum die Aggressivität jeweils ausgelöst wird, ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht geklärt, es passiert einfach plötzlich.»

Öffentlich auftretende Stiere würden für den Anlass trainiert, «dann sind sie zahm, ein ‹Tscholi› sagen die Besitzer häufig. Aber das Training ist keine Garantie dafür, dass kein aggressives Verhalten auftritt», so Friedli. Stiere tragen daher immer einen Nasenring, den man im Notfall einsetzen kann, um das Tier zu kontrollieren.

Doch: «Sobald der Stier sich gegen den Halter oder andere Personen aggressiv verhält, gibt es eigentlich keine Alternative zur Schlachtung. Denn der Halter oder der Tierarzt muss früher oder später an das Tier ran können. Und das Risiko, dass etwas passiert, will man nicht eingehen.»

s
Schwingerkönig Christian Stucki führt Siegermuni Kolin beim Empfang in Lyss durch die Menge. - Keystone

Das sieht auch Nadja Brodmann, Zoologin und Mitglied der Geschäftsleitung beim Zürcher Tierschutz, so. «Ich denke nicht, dass ein aggressiv gewordenes Tier in einer Haltung noch toleriert werden kann, hier geht wirklich die Sicherheit des Menschen vor.»

Zwar könne schlechte Haltung ein Grund sein, doch das Phänomen könne auch in guten Haltungen auftreten. «Es gibt individuelle Unterschiede im Verhalten, die sowohl genetisch- wie umweltbedingt sein können. Diese können zum Teil auch durch hormonelle Unterschiede überlagert sein.»

Tötung die beste Lösung

Möglicherweise könnte ein Tier in einer anderen Haltung aber weniger aggressiv reagieren. «Es ist aber auch nicht sehr tiergerecht und mit Stress verbunden, wenn ein Stier aus seiner Gruppe herausgerissen und umplatziert wird.» Die Tötung sei daher leider oft die beste Variante – aus ethischer wie tierschützerischer Sicht, so Brodmann.

Christian Stucki
Christian Stucki mit seinem Lebendpreis: Zuchtstier Kolin. - Keystone

Tobias Sennhauser, Präsident der Tierrechtsorganisation Tier im Fokus, ist kritischer. «Aggressive Stiere werden oft mangelhaft gehalten», sagt er.

«Ein Problem ist die Anbindehaltung. Zuchtstiere dienen aussschliesslich der Samenproduktion. Sie bleiben oft permanent angebunden und erhalten nur zum künstlichen Absamen etwas Bewegung.» Das sei für jedes Tier eine psychologische Tortur.

«Auffällig ist, dass das aggressive Verhalten von Kolin nach seinem Besuch am Schwingfest begann», so Sennhauser weiter. «Das Tohuwabohu dürfte ihn massiv gestresst haben. Man kann ein Tier nicht auf ein solches Erlebnis vorbereiten. Tiere haben auf einem Schwingfest nichts verloren!»

Stiere als Ware

Gemäss Sennhauser ist in den meisten Fällen sehr wohl möglich, den Stier leben zu lassen. «Doch dazu bräuchte es viel Zeit für die Betreuung sowie den richtigen Stall. Ein Stier braucht eine funktionierende Mensch-Tier-Beziehung sowie regelmässigen Auslauf mit einer Kratzbürste als Beschäftigung.» In der Praxis werde allerdings meist die günstigere Variante gewählt: die Schlachtung.

Er fordert deshalb: «Wir sollten aufhören, Stiere als Spermalieferanten und Kühe als Gebärmaschinen zu missbrauchen. Es braucht einen fundamentalen Wandel im Umgang mit anderen Tieren.«

Rinder sollten nicht als Waren, sondern als empfindungsfähige Lebewesen und Träger von moralischen Rechten betrachtet werden. «Ein erster Schritt in diese Richtung wäre, dass Tiere nicht länger als Trophäen herhalten müssen, weder am Schwingfest noch sonst wo.»

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

SchwingerkönigChristian StuckiNaturTierschutzStress