Schweizer Technologie: Ein Kochbuch für klimafreundlichen Zement
Forschende des Paul-Scherrer-Instituts suchen nach klimafreundlicheren Zementmischungen. Dabei hilft ihnen ein selbst entwickeltes KI-Modell.

Das Wichtigste in Kürze
- Die Zementproduktion schadet dem Klima mehr als der gesamte weltweite Flugverkehr.
- PSI-Forscher suchen deshalb nach Zementmischungen mit kleinerem CO2-Fussabdruck.
- Vielversprechende Mischungen sind gefunden, müssen aber erst noch getestet werden.
Zement ist das, was unsere Welt im Innersten zusammenhält: Das unscheinbare Pulver vermischt mit Sand, Kies und Wasser wird zu Beton – einem multifunktionalen und nahezu unersetzlichen Baustoff für Gebäude und Infrastruktur.
Die Schattenseite: Die Zementindustrie verursacht rund acht Prozent der globalen CO2-Emissionen – das ist mehr als der gesamte weltweite Flugverkehr. Forschende am Paul-Scherrer-Institut PSI haben deshalb ein KI-gestütztes Modell entwickelt, mit dem sich neue Rezepturen für Zement schneller entdecken lassen – bei gleicher Materialqualität und einer besseren CO2-Bilanz.
Die Zementmenge, die weltweit produziert wird, ist gigantisch: «Überspitzt ausgedrückt, verbraucht die Menschheit heute mehr Zement als Nahrung – rund eineinhalb Kilogramm pro Person und Tag», sagt John Provis, Leiter der Forschungsgruppe für Zementsysteme am PSI. «Das sind unvorstellbare Mengen.
Wenn wir das Emissionsprofil nur um ein paar Prozent verbessern könnten, würde dies in Bezug auf das Kohlendioxid einer Reduzierung von Tausenden oder gar Zehntausenden von Autos entsprechen», so der Zementchemiker.

Mit infernalischen 1400 Grad Celsius werden die Drehöfen in den Zementwerken eingeheizt, um aus gemahlenem Kalkstein Klinker zu brennen, der Grundstoff für baufertigen Zement. Die Hitze wird durch energieintensive Verbrennungsprozesse erzeugt.
Dabei entstehen grosse Mengen Kohlendioxid. Noch schlimmer: Die Verbrennung ist für nicht einmal die Hälfte der gesamten CO2-Emissionen verantwortlich. Der Grossteil davon ist in den Rohstoffen enthalten, die für die Herstellung von Klinker und Zement benötigt werden: CO2 ist chemisch im Kalkstein gebunden und wird bei der Umwandlung in den heissen Öfen freigesetzt.
KI-Simulationen statt aufwendiger Experimente
Die PSI-Forscher versuchen deshalb den Anteil an Klinker durch das Beimischen von alternativen zementartigen Materialien zu verringern. Dafür setzen sie auf eine KI-gestützte Modellierungsmethode, die sie selbst entwickelt haben.
«Damit können wir Zementrezepturen simulieren und so optimieren, dass sie bei gleich hoher mechanischer Qualität deutlich weniger CO2 ausstossen», erklärt PSI-Mathematikerin Romana Boiger. «Anstatt Tausende Varianten im Labor zu testen, generiert unser Modell innerhalb von Sekunden konkrete Rezeptvorschläge – wie ein digitales Kochbuch für klimafreundlichen Zement.»
Unter den von den Forschenden identifizierten Zementrezepturen finden sich bereits vielversprechende Kandidaten. «Einige dieser Rezepturen haben echtes Potenzial», sagt John Provis. «Nicht nur in Bezug auf CO2-Einsparung und Qualität, sondern auch, was die praktische Umsetzbarkeit in der Produktion betrifft.»
Um den Entwicklungszyklus abzuschliessen, müssen die Rezepte jedoch erst noch im Labor getestet werden. «Wir bauen jetzt nicht gleich einen Turm damit, ohne sie vorher zu prüfen», schmunzelt PSI-Forscher Nikolaos Prasianakis.