Cervelat ade: Wird die Schweiz Pionierin für Laborfleisch?
Während der Bundesrat noch die Wurst von gestern verteidigt, tüftelt die Schweiz längst an der Zukunft der Ernährung – und das hat globale Strahlkraft.

Das Wichtigste in Kürze
- Bis 2050 soll der Fleischkonsum um 50 Prozent steigen – schlechte Aussichten fürs Klima.
- Die Weltbank hat ermittelt, welche Massnahmen am effizientesten das Klima schützen können.
- Die Schweiz könnte hier eine globale Vorreiterrolle einnehmen.
Das sind keine guten Neuigkeiten. Zumindest nicht für alle, die ungern bei 40 Grad im Schatten schwitzen oder zusehen wollen, wie Gletscher zu Bächen dahinschmelzen.
Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) soll der weltweite Fleischkonsum bis 2050 um über 50 Prozent steigen.
Und das, obwohl wir schon jetzt mehr Fleisch essen, als gut für uns (oder den Planeten) wäre.
Das ist, als würde man einem Haus, das bereits brennt, noch einen Racletteofen mitten ins Wohnzimmer stellen. Würde niemand machen. Und trotzdem tun wir genau das mit unserem Fleischkonsum – jeden Tag.
Denn mittlerweile wissen es die meisten: Was wir daheim schön heiss anbraten, heizt draussen kräftig das Klima an. Land, Wasser, Energie – alles wird in rauen Mengen verschlungen.
Und was bleibt? Neben fünf Minuten Gaumenfreude vor allem Emissionen, Artensterben, Umweltzerstörung.
Doch es gibt Hoffnung.
Bäume pflanzen und veganes Poulet essen
Die Weltbank, nicht gerade bekannt für radikale Öko-Fantasien, hat alternative Proteine zur zweitwichtigsten Massnahme im Kampf gegen die Klimaerhitzung erklärt. Gleich nach Aufforstung.

Gemeint sind damit Fleischalternativen, die ganz ohne Tiere auskommen. Hergestellt aus gezüchteten tierischen Zellen oder mithilfe moderner Fermentationstechniken.
Sie sehen aus wie Fleisch, schmecken wie Fleisch, hatten aber nie einen Puls und kommen ganz ohne Stall und Schlachthof aus.
Ergänzt wird das Ganze durch altbewährte pflanzliche Proteinquellen wie Linsen, Erbsen, Bohnen, Tofu.
Also: Bäume pflanzen auf Platz 1, veganes Poulet auf Platz 2, als effektivste Massnahmen für den Klimaschutz.
Für manche klingt das so absurd, als hätte ein Veganer am Schwingfest den Kranz geholt. Wobei, ganz so abwegig ist das nicht. Selbst Schwingerkönig Christian Stucki macht inzwischen Werbung für die pflanzlichen Fleischalternativen von Planted.
Effizient – und bald massentauglich?
Diese neuen Proteine sparen massenhaft Treibhausgase, Land und Wasser. Und sie kommen ganz ohne Tierzucht, ohne Massentierhaltung und ohne Futtermittel-Monokulturen aus.
Stattdessen wachsen die Zutaten effizient in Reaktoren, Tanks, im Labor. Oder ganz klassisch auf dem Acker. Und das mit einem Bruchteil der Ressourcen.

Kein Wunder also, dass auch hierzulande immer mehr in diese Lösungen investiert wird. Hochschulen forschen an Zellfleisch, Schweizer Start-ups bringen vegane Alternativen in die Regale und machen sie dadurch leicht verfügbar.
Und die Migros hat schon 2023 gemeinsam mit dem Start-up Aleph Farms den ersten Antrag für den Verkauf von Laborfleisch beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) eingereicht.

Im Dezember 2024 wurde dann in Kempthal der «Cultured Hub» eröffnet. Eine Hightech-Anlage mit dem Ziel, die Produktion von kultiviertem Fleisch massentauglich zu machen. Ein Meilenstein.
Und ein Statement: Die kleine Schweiz hat das Potenzial, in der globalen Zukunft der Ernährung eine Pionierrolle einzunehmen.
Schweiz hat Strahlkraft
Auch politisch tut sich etwas. Am 7. Mai 2025 nahm der Nationalrat eine Motion der Grünen-Politikerin Meret Schneider an.
Das Ziel: kultiviertes Fleisch nicht nur zu regulieren, sondern aktiv zu fördern.
Der Bundesrat hatte die Motion zuvor noch zur Ablehnung empfohlen. Dies mit dem Vermerk, das aktuelle Verfahren sei «adäquat ausgestaltet».
Klingt nach: «Hat doch bis jetzt auch funktioniert. Wollen wir nicht ändern.»

Doch es ist klar: Ohne schnell verfügbare Alternativen führt der globale Fleischhunger geradewegs in eine glühend heisse Klimakrise.
Und die wird nicht medium, sondern well done. Damit das nicht passiert, brauchen diese Lösungen politische Rückendeckung, wirtschaftliche Förderung – und gesellschaftliche Akzeptanz.
Die Schweiz hat hier die Chance, ganz vorne mitzuspielen. Nicht mit der Cervelat von gestern, sondern mit dem Steak von morgen.
Und was hier passiert, hat Strahlkraft: Wenn die Schweiz mutig vorangeht, könnte das auch andere Länder in der EU ermutigen, nachzuziehen.
Und auf diese Aussicht gönne ich mir jetzt eine schön Bratwurst. Aus schweizerischem Soja, versteht sich.
Zur Person: Mirjam Walser (38) schreibt auf Nau.ch regelmässig zum Thema Veganismus und Tierrechte. Als Coach und Gründerin der Vegan Business School ist sie Expertin für veganes Unternehmertum und vegane Innovationen.