Der Frauenstreik beschäftigt die Schweiz. Ein Kommentar von SP-Nationalrätin Min Li Marti.
Frau mit kurzen schwarzen Haaren im Anzug
Nationalrätin Min Li Marti, SP ZH - zvg

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Frauenstreik findet am 14. Juni 2019 statt.
  • Schweizer Politiker äussern sich in der Rubrik «Stimmen der Schweiz» dazu.
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Ich wurde 1974 geboren. 1971 erst haben in der Schweiz die Frauen das Stimmrecht erhalten.

1981 wurde die Gleichstellung in der Verfassung verankert. Dort steht: «Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.» Bis es zu eben diesem Gesetz kam, dauerte es noch einmal eine Weile. Aber dazu später.

1983 wurde anstelle von SP-Nationalrätin Lilian Uchtenhagen Otto Stich, der nicht kandidiert hatte, von der bürgerlichen Ratsmehrheit in den Bundesrat gewählt. Im darauffolgenden Jahr wurde die Freisinnige Elisabeth Kopp als erste Frau in den Bundesrat gewählt.

Das neue Eherecht kam 1988. Früher stand da: «Der Ehemann ist das Haupt der Gemeinschaft. Er bestimmt die eheliche Wohnung und hat für den Unterhalt von Weib und Kind in gebührender Weise Sorge zu tragen». Die Ehefrau hingegen «steht dem Manne mit Rat und Tat zur Seite und hat ihn in seiner Sorge für die Gemeinschaft nach Kräften zu unterstützen. Sie führt den Haushalt.» Immerhin durfte sie für die «laufenden Bedürfnisse des Haushaltes die Vertretung der Gemeinschaft neben dem Ehemann» übernehmen. «Missbraucht die Ehefrau die ihr vom Gesetz im Haushalt eingeräumte Vertretungsbefugnis oder erweist sie sich als unfähig zu deren Ausübung, so kann ihr der Ehemann die Vertretung ganz oder zum Teil entziehen.» Immerhin: «Mit ausdrücklicher oder stillschweigender Bewilligung des Ehemannes ist die Ehefrau unter jedem ehelichen Güterstande befugt, einen Beruf oder ein Gewerbe auszuüben.» Gegen Anpassung des Eherechts wurde das Referendum ergriffen. An vorderster Front gegen das neue Eherecht: Christoph Blocher.

1990 lehnte die Landsgemeinde des Kantons Appenzell Innerrhoden ab, die Kantonsverfassung so zu ändern, dass «alle im Kanton wohnhaften Schweizerbürgerinnen und Schweizerbürger» (also auch die Frauen) stimmberechtigt geworden wären. Aufgrund der Stimmrechtsbeschwerde einer Appenzellerin, die bereits 1989 eingereicht wurde und aufgrund weiterer Beschwerden nach der Landsgemeinde, entschied das Bundesgericht, dass die Frauen ab sofort das Frauenstimmrecht in kommunalen und kantonalen Angelegenheiten erhalten sollen.

Im Jahr darauf beteiligten sich hunderttausende Frauen unter dem Motto „«Wenn Frau will, steht alles still» am Frauenstreik.

Bis 1992 konnte nur Opfer einer Vergewaltigung sein, wer mit dem Täter nicht verheiratet war. Erst seit 2004 ist die Tat auch ein Offizialdelikt. 38 von 44 SVP-Nationalräten stimmten dagegen.

1993 wurde die von der SP vorgeschlagene Christiane Brunner nicht in den Bundesrat gewählt. In einem anonymen Brief wurden ihr Nacktfotos angedichtet. An ihrer Stelle wurde Francis Matthey gewählt, der die Wahl nach enormen Protesten der Frauen nicht annahm. Am 10. März wurde Ruth Dreifuss als SP-Bundesrätin gewählt. Nach der Nichtwahl von Christiane Brunner stieg bei den nachfolgenden Wahlen der Frauenanteil. Das ging als sogenannter Brunner-Effekt in die Geschichte ein.

Fünfzehn Jahre nach dem Verfassungsauftrag kam endlich das Gleichstellungsgesetz, dass auch den Anspruch nach Lohngleichheit gesetzlich verankerte.

2002 wurde ich in den Zürcher Gemeinderat gewählt. Im selben Jahr wurde den Frauen in der Schweiz der legale Schwangerschaftsabbruch, die sogenannte Fristenlösung, erlaubt. Die parlamentarische Initiative, welche die Fristenregelung forderte, wurde bereits 1993 von Barbara Haering (SP) eingereicht.

Zwei Jahre später wurde über die Mutterschaftsversicherung abgestimmt. Der Verfassungsauftrag für eine Mutterschaftsversicherung bestand seit 1945. Alle Anläufe für die Schaffung waren gescheitert, bis sich die damalige SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr und der damalige FDP-Nationalrat und Gewerbeverbandsdirektor Pierre Triponez zu der heute gültigen Lösung über die Erwerbsersatzordnung fanden. Unterstützt wurde das Anliegen von der CVP und der damaligen SVP-Nationalrätin Ursula Haller. Vehementeste Kritikerin war die SVP-Nationalrätin Jasmin Hutter. Ursula Haller wechselte später zur BDP. Hutter trat nach der Geburt ihres ersten Kindes aus dem Nationalrat zurück. Väter erhalten nach wie vor nur einen Tag Urlaub. Im Moment ist die Initiative für einen vierwöchigen Vaterschaftsurlaub hängig. Voraussichtlich wird ein Gegenvorschlag von zwei Wochen beschlossen.

2017 entschloss die Bundesversammlung die Istanbul-Konvention zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu ratifizieren.

Letztes Jahr beschloss das Parlament, dass Unternehmen ab einer gewissen Grösse Analysen zur Lohngleichheit durchführen müssen. Der Ständerat wollte die Vorlage eigentlich ablehnen. Die CVP-Männer des Ständerats kamen aber in der Folge unter grossen innerparteilichen Druck der CVP-Frauen und änderten schliesslich ihre Haltung.

2019 ist erneut Frauenstreik. Warum sollen die Frauen fast dreissig Jahre später nochmals streiken? Die unvollständige historische Aufzählung zeigt es klar. Weil Frauen immer eine extra Runde warten und die extra Meile gehen müssen, um nur zum gleichen Recht zu kommen.

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