SP-Kantonsratskandidat Maytas Sagi-Kiss fordert in seinem Gastbeitrag einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit Menschen mit Behinderung.
Maytas Sagi-Kiss
Maytas Sagi-Kiss mit seiner Assistenzhündin Ginger. - Claudia Brandberger, Personality Photography.
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Das Wichtigste in Kürze

  • Maytas Sagi-Kiss äussert sich zum gesellschaftlichen Umgang mit Menschen mit Behinderung.
  • Der SPler kandidiert für den Zürcher Kantonsrat.
  • In der Rubrik «Stimmen der Schweiz» verfassen Schweizer PolitikerInnen Gastbeiträge.

Wann werden wir als Gesellschaft so weit sein, dass wir aufhören, verkrampft und unbeholfen Euphemismen wie Einschränkung und Beeinträchtigung für den Begriff Behinderung zu verwenden? Eine Einschränkung ist es, wenn ich im Laden keine Mayonnaise mehr kaufen kann. Eine Beeinträchtigung ist zum Beispiel ein Stau.

Wenn wir Menschen mit Behinderung für Inklusion und Chancengerechtigkeit kämpfen, sollten wir eindeutige, glasklare Begriffe verwenden. Worte wie «Einschränkung» oder «Beeinträchtigung» sind verharmlosend.

Wer Behinderung als einen Teil der menschlichen Vielfalt und nicht als etwas Negatives, ein Defizit oder sogar als Anomalie versteht, hat keinen Grund den Begriff «Menschen mit Behinderung» zu ersetzen.

Aus den Augen aus dem Sinn

Natürlich kommen unsere Schwierigkeiten mit dem Begriff Behinderung nicht von ungefähr. Menschen mit Behinderung in ihrer Vielfalt sind meist unsichtbar. Viele gehen davon aus, dass wir in einem Heim leben und dort «gut versorgt» sind. Oft irgendwo in der Peripherie angesiedelt, wo sich Fuchs und Haase gute Nacht sagen, damit wir «von der gesunden Natur profitieren» können.

Die Annahme, dass die Mehrheit von uns in Heimen wohnt, ist schlicht falsch. Obwohl viele von uns de facto gezwungen sind, in ein Heim zu ziehen, weil geeignete ambulante Unterstützungs-Dienstleistungen von den meisten Kantonen nicht finanziert werden.

Warum sind wir Menschen mit Behinderung also trotz unseres beträchtlichen Bevölkerungsanteils fast immer unsichtbar, sei es in der Politik, Kultur, der Wissenschaft und der Wirtschaft?

Unsere Infrastruktur, und dies gilt flächendeckend für unsere schöne Eidgenossenschaft, ist immer noch voller Hindernisse. Viele öffentliche Verkehrsmittel, Restaurants, Kultureinrichtungen, Bauten der öffentlichen Hand und Arbeitsplätze sind nicht zugänglich. Wie also sollte es anders sein, als dass wir Menschen mit Behinderung oft unsichtbar sind?

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Gefangen in der Opferrolle

Wer etwas Gutes für uns Menschen mit Behinderung tut, kann in der Regel auf Zuspruch in der Gesellschaft zählen, wenn auch nicht von allen Seiten. Gelegentlich finden wir einen Bettelbrief mit einem herzerweichenden Bild eines Kindes mit Behinderung im Briefkasten. Dies mit der Absicht, Geld für die jeweilige wohltätige Organisation zu sammeln.

Meist wird in solchen Organisationen dann ohne uns Menschen Behinderung entschieden, was mit dem Geld für uns zu tun sei. Schliesslich wissen wir «armen, fürsorgebedürftigen Geschöpfe» ja sowieso nicht, was gut für uns ist.

Ebenfalls sehr verbreitet sind Benefizveranstaltungen, bei welchen dann auf den Tränendrüsen-Effekt gehofft wird. An diesen Anlässen wird uns Betroffenen – ob wir wollen oder nicht – zum Beispiel ein Flug mit dem Heissluftballon oder ein «Schoggistängeli» gesponsert, und wir haben gefälligst in demütiger Dankbarkeit die milden Gaben freudig anzunehmen.

Wer nicht mitspielt, gilt schnell als undankbar und verbittert, beziehungsweise als sozial nicht kompatibel.

Politische Teilhabe

Politik ist für die meisten ein Buch mit sieben Siegeln. Solange wir Menschen mit Behinderung dort, wo die Entscheidungen fallen, nicht auf Augenhöhe und gleichberechtigt vertreten sind, wird sich nie etwas ändern. Dass wir auch auf dem Weg in die Politik zusätzliche Hindernisse vorfinden, überrascht nicht.

Das Ergebnis spricht Bände. Nur wenige Menschen mit Behinderung schaffen den Sprung in ein Kantonsparlament. Während der letzten 8 Jahre sass keine einzige Person mit Behinderung im Zürcher Kantonsrat. Das führt zu schlechten oder halbbatzigen Lösungen bei denen unsere Bedürfnisse zu wenig berücksichtigt werden.

Auch deshalb kandidiere ich in den Zürcher Stadt-Kreisen 3 und 9 auf für die SP auf Liste für den Kantonsrat, damit nicht länger ohne uns über uns entschieden wird.

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