Ein Gastbeitrag von Schriftsteller Giuseppe Gracia zum Klimaaktivismus und die Debatte um den Klimawandel.
Giuseppe Gracia.
Giuseppe Gracia, Schriftsteller, Publizist und Kommunikationsberater. - zVg
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • In letzter Zeit machten Klimaaktivisten mit Protesten immer wieder auf sich aufmerksam.
  • Diese Gruppen verhindern jedoch eine offene Debatte, welche wir unbedingt brauchen.
  • Ein Gastbeitrag des Schriftstellers Giuseppe Gracia.

Die postchristliche Gesellschaft ist nicht weniger religiös geworden, sondern sie kennt Ersatzreligionen, zum Beispiel den Glauben an Erlösung durch Gesundheit. Oder den Glauben an Selbstverwirklichung durch Selbstoptimierung. Der Klimaaktivismus hat ebenfalls religiöse Züge, wenn Protestgruppen in Endzeitstimmung verfallen und Politiker diese Stimmung für ihre Zwecke nutzen. Nicht wenige Medien machen ebenfalls mit und präsentieren ihren Konsumenten Umweltapostel, die für die Rettung der Welt Kunstwerke zerstören, sich auf Strassen festkleben und die Menschheit zur Umkehr bewegen wollen, zur Abkehr vom konsumistischen westlichen Lebensstil.

Zielt der Aktivismus auf die falschen Länder ab?

Ein zentrales Dogma vieler Aktivisten lautet: «Seit der Industrialisierung zerstört der Mensch das Klima, deswegen müssen Regierungen, Konzerne und Bürger zum grünen Handeln gezwungen werden.» Das Problem: Der Aktivismus richtet sich nicht auf Länder wie China oder Indien, die seit Jahrzehnten mit Abstand am meisten tun, um die Umwelt zu verschmutzen. Sondern der Aktivismus und Alarmismus richtet sich auf Westeuropa, das nicht einmal ein Prozent zur Verbesserung der Lage beitragen könnte.

Mit anderen Worten: der Protest richtet sich auf das westliche System, obwohl dieses im Vergleich mit dem Rest der Welt nicht nur die besten Umweltstandards hat, sondern auch in Sachen Menschenrechte und Tierschutz besser abschneidet. Abgesehen davon, dass die Klimaforschung viele offene Thesen kennt.

Eine wenig populäre These lautet: Der Klimawandel wird von der Tatsache verursacht, dass wir uns am Ende einer Eiszeit befinden, dass die Erde im Laufe der Jahrmillionen grosse Klimaveränderungen erlebt hat: Eiszeiten mit globalem Winter, Schmelzen der Polarkappen mit globalem Sommer. Folglich kann der Mensch mit seinen Maschinen diese Phasen, vergleichbar mit kosmischen Jahreszeiten, nicht wesentlich beeinflussen.

Forderung nach Systemwechsel

Klimaaktivisten wie die «Letzte Generation» oder «Extinction Rebellion» halten den Klimawandel für eine Sünde des Menschen, ja eine Erbsünde des Kapitalismus. Daraus resultiert die Forderung nach dem Systemwechsel, nach dem Ende freiheitlicher Lebensmodelle. Der Staat soll nicht mehr Diener der Bevölkerung sein, sondern umgekehrt.

Der Systemwechsel wird allerdings allein vom Westen gefordert, ohne den Rest der Welt zu betrachten. Obwohl China und Indien die mit Abstand grössten Umweltverschmutzer sind und Westeuropa im Vergleich dazu kaum etwas für das Klima tun kann. Dennoch sind die Aktivisten nicht daran interessiert, westliche Umwelt-Standards mit den Standards in China, Indien oder Russland zu vergleichen. Sondern man fragt: wie lange dauert es, bis Europa und die USA emissionsfrei sind?

letzte generation
Klimaaktivisten der Gruppe Letzte Generation blockieren in Berlin eine Zufahrt zur Stadtautobahn. (Archiv) - Paul Zinken/dpa

Dabei dominiert eine sogenannte «Non-Human-Perspective». Das bedeutet: Man beurteilt die Auswirkungen der Menschheit auf die Umwelt nach dem utopischen Ideal einer Umwelt ohne Menschen und ihre Maschinen. Man fragt nicht: wie viele Jobs, wie viel Gesundheit und Schutz gegen Kälte und Sturm bringen geheizte Häuser in Entwicklungsländern? Wie viele Millionen von Leben werden gerettet, wie viel Grundversorgung und Sicherheit geleistet durch die Energiewirtschaft seit Beginn der industriellen Revolution? Wie gross ist der medizinische Fortschritt seit Beginn der Chemieindustrie? Das interessiert nicht, sondern man fragt: wie wäre es, wenn alle diese Techniken und Umweltbelastungen nicht wären? Und letztlich: können wir nicht so leben, als wären wir gar nicht da, damit der Planet seine Ruhe hat? Die Zumutungen realmenschlicher Zivilisation scheinen nicht mehr tolerabel.

Es braucht eine offene Debatte

Ich persönlich fliege selten. Ich besitze kein Auto und pendle seit 20 Jahren mit dem Zug. Ich betrachte mit Sorge unsere verkehrsverstopften Metropolen. Am liebsten hätte ich überall Fussgängerzonen und betrachte unsere Wegwerf-Kultur als zivilisatorisches Armutszeugnis. In diesen Fragen bin ich ein Grüner. Aber ich kann den religiösen Eifer nicht nachvollziehen, mit dem politische Gruppen die Klimadiskussion dominieren, um Andersdenkende als Klimaleugner oder schlechte Menschen zu diffamieren. Das verhindert eine offene Debatte. Eine Debatte, die wir brauchen, um gute Lösungen zu finden.

Bereitet Ihnen der Klimawandel Sorgen?

Die Sorge um die Umwelt sowie die Entwicklung des Weltklimas ist zu wichtig, um sie totalitären Apokalyptikern und Angstmachern zu überlassen. Es ist entscheidend zu erkennen, dass eine Politik der Angst aus der Freiheit heraus in den Totalitarismus führen kann. Deshalb sollte man der Sorge um die Natur mit Augenmass und Vernunft begegnen – und mit dem Glauben an die Kreativität und das Potential einer freiheitlichen Kultur. Gerade heute brauchen wir nicht noch mehr Pessimismus, sondern wieder den Optimismus der Aufklärung. Die Aufklärer haben an den Menschen geglaubt, an die Kraft seines Verstandes und seiner Fähigkeit, herauszutreten aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Sie haben an Freiheit und Kreativität geglaubt, wichtige kulturelle Kräfte, um auch grosse Probleme zu lösen.

Zum Autor: Giuseppe Gracia (55) ist Schriftsteller und Kommunikationsberater. Sein neuer Roman «Schwarzer Winter» (Fontis Verlag, 2023) handelt von terroristischen Klimaaktivisten.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

MenschenrechteKlimawandelTierschutzMaschinenProtestUmweltAngstNaturStaatJobsErde