Daniel Koch: Es ist Zeit, die Pandemie zu durchleuchten!
Das Wichtigste in Kürze
- Während einer Pandemie über finanzielle Sparpotentiale zu diskutieren, sei fehl am Platz.
- Jetzt wäre es an der Zeit, Pandemie und Krisenbewältigung zu durchleuchten, findet Koch.
- Daniel Koch war zwischen 2008 und 2020 BAG-Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten.
Eigentlich wollte ich ja eine Kolumne über die Eindrücke meiner kürzlichen Reise in die Ukraine schreiben. Beispielsweise darüber, wie es sich anfühlt, wenn man jede Nacht wegen Raketen- und Drohnenalarm im Hotelbett aufgeschreckt wird. Und sich dann schlaftrunken in den Luftschutzkeller begeben muss.
Aber dann erfuhr ich aus der Tagesschau, dass das Bundesamt für Gesundheit (BAG) seine Überwachung in den Schweizer Spitälern streicht. Das traf einen wunden Punkt meiner ehemaligen Berufstätigkeit.
Natürlich betrifft diese Streichung nicht die Überwachung der Kosten im Bereich der Abrechnungen mit den Krankenkassen. Denn dort wächst das Bürokratiemonster zu Gunsten der Kassen ungebremst und mit steigender finanzieller Belastung der Kantone und Prämienzahler.
Nein, gestrichen wird die Unterstützung eines kleinen effizienten Systems zur Überwachung von übertragbaren Krankheiten in den Spitälern.
Das Universitätsspital Genf hat dies in den letzten Jahren aufgebaut. Es hat während der Pandemie wertvolle Daten über den Schweregrad der Covid-19 (Corona)-Erkrankten geliefert.
Wenn man will, kann man aus der Pandemie auch nichts lernen
Das Meldesystem des Koordinierten Sanitätsdienstes (KSD) der Schweizer Armee, welches nach etlichen Anfangsschwierigkeiten die groben Daten zur Anzahl der Hospitalisationen lieferte, wurde schon längst wieder eingestellt.
Sollte die Aufarbeitung der Corona-Pandemie jetzt so richtig lanciert werden?
Seit 2023 untersteht das KSD neu dem Bevölkerungsschutz und ist gerade dabei, sich neu zu erfinden. Mein Fazit dieser Entwicklungen: Wenn man will, kann man aus der Pandemie auch nichts lernen.
Denn: Was im Normalfall nicht funktioniert, wird auch in einer Krise nicht funktionieren. Dies gilt insbesondere für Überwachungssysteme.
Aufgaben nicht mit dem Rotstift anpacken
Natürlich stehen die Bundesbehörden unter einem enormen Spardruck, der vom Parlament und der gesetzlich vorgegebenen Schuldenbremse kommt. Und natürlich wird am einfachsten dort gespart, wo es um Vorsorge und vorausschauende Investitionen geht. Natürlich gibt es in einer Verwaltung viele Möglichkeiten der Effizienzsteigerung.
Nur sollte man solche Aufgaben nicht mit dem Rotstift anpacken. Denn nur selten führt weniger Geld zu effizienteren Leistungen. Im Normalfall gibt es einfach einen Leistungsabbau.
Dass ausgerechnet die Schweiz, als eines der reichsten Länder der Welt, gebetsmühlenhaft an der restriktiven Schuldenbremse festhält, ohne dass die Politiker es wagen, dies in Frage zu stellen, ist befremdend. Strategisch begründete Investitionen und vorausschauendes Denken werden dadurch verunmöglicht.
Und wenn das Parlament sich nicht die Mühe macht, grundsätzlich die eidgenössische Finanzpolitik zu überdenken und flexibler zu gestalten, dann werden sich auch in Zukunft riesige Finanzlöcher entstehen.
Selbst Drosten fordert Aufarbeitung
Auch mit der grössten Sparwut lassen sich solche Defizite nicht wirklich schliessen und die fehlenden Investitionen, sei es beim Militär, in der Entwicklungshilfe, in der Umweltpolitik, oder auch in der Forschung und Bildung, werden sich in Krisen rächen.
Mit der Aufarbeitung der Ereignisse während der Pandemie tut sich natürlich nicht nur die Schweiz schwer: In Deutschland fordert selbst Christian Drosten, der bekannte Berliner Virologe, in seinem in diesem Jahr erschienenen Buch eine umfassende Aufarbeitung der Bewältigung der Pandemie.
Erstaunt habe ich an einer öffentlichen Podiumsdiskussion im Fürstentum Liechtenstein festgestellt, dass sich im Ländle die Behörden offen und ehrlich dieser Aufgabe stellen.
In der Schweiz vermisse ich diese Bemühungen. Die Evaluationsberichte wurden schon im Sommer 2021 abgeschlossen. Lange bevor es einen wirklichen Überblick gab.
Feuerwehr diskutiert nicht beim Löschen eines Grossbrandes
Es geht mir nicht darum, nach Schuldigen zu suchen und ein politisches Seilziehen zu veranstalten. Es geht einzig und allein darum, alle Aspekte des Krisenmanagements zu durchleuchten und Lehren daraus zu ziehen.
Dass es in einer Krise wie der Pandemie keinen Platz hat, über finanzielle Sparpotentiale zu diskutieren, musste auch der damalige Finanzminister zähneknirschend zur Kenntnis nehmen.
Das ist normal. Denn die Feuerwehr diskutiert auch nicht beim Löschen eines Grossbrandes, wo man Wasser einsparen könnte, um die Kosten beim Wasserverbrauch zu senken.
Sparwut etwas realitätsfremd
Aber jetzt wäre es an der Zeit, die Pandemie und Krisenbewältigung zu durchleuchten. Und die richtigen Investitionen zu tätigen.
Wir erleben leider gerade eine Welt, welche von einer Krise in die nächste schlittert. Machtpolitiker versuchen mit Waffengewalt, eine neue Weltordnung zu erzwingen.
Da erscheint mir die Diskussion und Sparwut in der schweizerischen Finanzpolitik etwas realitätsfremd.
Zum Autor: Daniel Koch war zwischen 2008 und 2020 Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Er ist der Öffentlichkeit als «Mister Corona» bekannt und schreibt nun regelmässig Kolumnen auf Nau.ch. Koch lebt im Kanton Bern und hat im letzten Jahr die Ukrainerin Natalia geheiratet.