Zürcher Verein zeigt wie: So sollen Leerkündigungen gestoppt werden
Nirgends wird so oft leergekündigt wie in der Stadt Zürich. Dieser Entwicklung gegensteuern will nun ein Verein. So funktioniert das Projekt.

Das Wichtigste in Kürze
- In keiner Schweizer Stadt wird mehr leergekündigt als in Zürich.
- Kaum eine Woche vergeht ohne Leerkündigung.
- Der Verein Urban Equipe will dieser Entwicklung nun Gegensteuer geben.
Kaum eine Woche vergeht ohne Leerkündigung: Alleine im vergangenen Monat berichtete Tsüri.ch über Fälle an der Manessestrasse, an der Kornhausstrasse, der Brahmsstrasse und zuletzt an der Konradstrasse.
In keiner Schweizer Stadt wird mehr leergekündigt als in Zürich. Das zeigt eine Studie der Zürcher Kantonalbank aus dem Jahr 2024. Der Vorgang scheint unaufhaltbar, Liegenschaft für Liegenschaft wird totalsaniert oder ganz abgerissen.

Dabei wäre es auch anders möglich. Durch den Umbau in Etappen kann mit den Anwohnerinnen und Anwohner sozialverträglich umgegangen werden, auch wenn ganze Gebäude saniert oder neu gebaut werden. Ein Verfahren, das auch die Stadt immer wieder anwendet: zuletzt bei der Siedlung Heiligfeld I im Sihlfeld.
Statt allen Mieterinnen und Mieter gleichzeitig zu kündigen, werden die Liegenschaften in mehreren Phasen so umgebaut und verdichtet, dass möglichst alle Bewohnenden innerhalb der Siedlung umziehen können.
Wie genau Etappierungen von Bauprojekten bestmöglich ablaufen, untersucht der Verein Urban Equipe, der zur Demokratisierung der Stadtentwicklung forscht.
Auch die Stadt beschäftigt sich damit
Sabeth Tödtli von Urban Equipe ist für das Projekt «Wohnungsbau schlau etappieren» zuständig. Dieses entstand vor gut einem Jahr im Rahmen eines Arbeitskreises. Finanziert wird es durch den Innovations-Booster «Future Urban Society».
Sie sagt, «ein Umbau könnte so geplant werden, dass die Bewohnerinnen und Bewohner nicht die Leidtragenden sind». Zwar sei es aufwändiger und bedeute Stress für die Mieterinnen und Mieter, da diese zum Teil sogar mehrfach umziehen müssten. «Aber wenn man genug früh vorausplant und die Bewohnerinnen und Bewohner miteinbezieht, kann der Prozess viel sozialverträglicher ablaufen, als wenn man leerkündigt.»
Auch die Stadt Zürich beschäftigte sich im letzten Jahr mit dem Thema und gab die Studie «Bausteine für eine etappierte Erneuerung von Wohnsiedlungen» in Auftrag.
Im Projekt von Urban Equipe gehe es darum, die Erkenntnisse aus dieser Studie zu nutzen und zu vertiefen. «Unser Fokus liegt dabei auf der Kommunikation mit der Mieterschaft und bei der Sozialverträglichkeit», erklärt Tödtli.
Kann ich mir die neuen Mieten noch leisten?
Es habe sich herausgestellt, dass die rechtzeitige Kommunikation der neuen Mietpreise einer der wichtigsten Faktoren sei. Dies sei entscheidend darüber, ob die Mieterinnen und Mieter bei einem Umbau in der Siedlung blieben oder wegzögen.
«Für sie ist es vor allem wichtig zu wissen, ob sie sich die neuen Wohnungen noch werden leisten können», sagt Tödtli. «Wenn das nicht garantiert ist, schauen sich die Mieterinnen und Mieter nach anderen Optionen um.»
Obwohl es für das Vertrauen der Bewohnerinnen und Bewohner zentral ist, kommunizieren die wenigsten Vermieterinnen und Vermieter die neuen Mietzinsen frühzeitig.

Weshalb das so ist, möchte der Zürcher Hauseigentümer Verband (HEV) nicht beantworten. Tödtli meint, es gebe dafür verschiedene Gründe: «Einerseits hat es mit ihrer Kostenrechnung zu tun, sie wollen sich nicht zu früh festlegen.»
Aber auch Profitmaximierung spiele natürlich eine Rolle. «Sozialverträglichkeit steht für Hauseigentümerinnen und -eigentümer nicht unbedingt an oberster Stelle, auch nicht bei Bauprojekten in Etappen».
Generell unterstütze der HEV den Umbau in Etappen, wie er auf Anfrage schreibt. Bauprojekte von Mitgliedern des Hauseigentümerverbands würden sogar häufig so ablaufen, da die Besitzerinnen und Besitzer oft selbst in ihren Wohnungen wohnten, erklärt der Medienverantwortliche Luca Roncoroni.

«Damit kommt eine Leerkündigung und Gesamtsanierung oder ein Ersatzneubau gar nicht infrage, da der Eigentümer dann für sich selbst eine temporäre Alternative suchen müsste», schreibt er.
Die meisten Mitglieder des HEV seien private Eigentümerinnen und Eigentümer von Wohnungen, Einfamilienhäusern oder Mehrfamilienhäusern.
Gute Kommunikation mit den Mietenden sei das Wichtigste
Dass alle Eigentümerinnen und Eigentümer mitziehen, sei essenziell, meint Sabeth Tödtli. «Wir kommen nicht aus dieser Krise, wenn die Privaten keine Verantwortung übernehmen.»
Es scheitere aber nicht nur am fehlenden Willen. «Immer wieder erreichen uns Eigentümerinnen und Eigentümer, die eigentlich sozialverantwortlich bauen wollen», meint sie. Das Anliegen sei da, doch es mangle an Anlaufstellen und Fachpersonen. Den Prozess für die Mieterinnen und Mieter erträglich zu gestalten, sei eine schwierige Aufgabe, die viel Koordination erfordere.
Zwar werde bereits heute schon oft in Etappen umgebaut, das habe aber auch andere Gründe. «Zum Beispiel, weil ein Projekt zu gross ist, um es in einem Mal zu machen», sagt sie. «Meistens wohnen dann am Schluss aber nur noch wenige der ursprünglichen Mieterinnen und Mieter dort», sagt Tödtli.
«Wenn eine Eigentümerin einen Umbau in Etappen ankündigt, klingt das zunächst immer sehr gut, dann schaut man vielleicht nicht mehr so genau hin», sagt Tödtli, aber oft laufe dann einiges schief.
«Zum Beispiel wird den Mieterinnen und Mietern oft sehr lange im vor heraus gekündigt», in der Immobilienbranche gelte das als sozialverträglich. «Doch damit wälzt man die Aufgabe eigentlich vor allem an die Mieterinnen und Mieter ab», sagt sie. «Wenn sie dem Prozess nicht vertrauen, ziehen viele der Anwohnerinnen und Anwohner in dieser Zeit weg. Das Quartier macht man damit kaputt».
Viele dieser Punkte hätten sie in den vergangenen Monaten in Gesprächen mit Mieterinnen und Mietern, Eigentümerinnen und Eigentümern sowie dem Mieterinnen- und Mieterverband aufarbeiten können.
«Nun geht es darum, dieses Wissen zusammenzutragen und unter die Leute zu bringen», sagt Tödtli. «Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Wohnungsumbau anders möglich ist – auch für die Privaten.»
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Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst bei «Tsüri.ch» erschienen. Autorin Sofie David ist Praktikantin Redaktion beim Zürcher Stadtmagazin.