Wie man ein Opfer des Doppelpunkts wird
Dank den Bemühungen von Ruth Schweikert und ihrer Stiftung wird das Erstlingswerk von Andrea Simmens neu aufgelegt.

Wer eine vergessene Schweizer Autorin entdecken will, die einst als Ausnahmetalent Erfolge feierte, kann nun Andrea Simmens Erstling von 1991 wieder lesen – dank Ruth Schweikert.
«Besser, sie kommen nicht, sie würden mit Blaulicht ins Dorf fahren, bewaffnet mit Gummiknüppeln, Schutzschilden, Notpsychiatern, Beruhigungsspritzen, Datenbanken, Schnallenstiefeln, sie würden durch ihre Megaphone schreien; kommen Sie raus, Kellermann, Widerstand zwecklos, das Haus ist umzingelt; sie würden Rauchpetarden ins Wohnzimmer schmeissen, das halbe Dorf stände um die Liegenschaft, Frau Bitterli zuvorderst, sie hat schon immer gewusst, dass hier etwas nicht stimmt, das sieht man den Rosen an, die blühen noch Im November (...)» – und der Satz ginge noch zehn Zeilen weiter im Buch «Ich bin ein Opfer des Doppelpunkts», bis zum Punkt folgen eheliche Streitigkeiten, Mistgabeln und Schwarzbrennerei.
Mitgerissen von Einfällen
Solche weitschweifigen Assoziationsketten sind typisch für den Stil der Autorin, die beim Schreiben wohl selbst mitgerissen wurde von ihren Einfällen. So geht es einem auch beim Lesen.
Beschwingt folgt man den sprachlichen Kapriolen durch eine scheinbar bunte Welt, hat am Schluss aber doch eine Geschichte über unverhältnismässige Polizeieinsätze oder über häusliche Gewalt gelesen und schluckt erstmal leer.
Buch wird neu aufgelegt
Dass der erfolgreiche Erstling der jung verstorbenen Autorin Andrea Simmen nun neu aufgelegt wird, ist ihrer Berufskollegin und Freundin Ruth Schweikert zu verdanken. 2020 beschloss diese, das Buch in einer geplanten neuen Reihe wieder herauszugeben.

Doch ihr eigener, ebenfalls früher Tod 2023 verhinderte dies. Den Plan zu Ende geführt hat nun der von Schweikert mitgegründete Zürcher Verein Alit, der sich für die Sichtbarmachung und Greifbarkeit der Schweizer Gegenwartsliteratur einsetzt.
Erneutes Lesen lohnt sich
Schweikert selber schrieb in Erinnerung an Simmen: «Welchen Effekt Beschreibungsgenauigkeit erzielt, darüber haben wir zuletzt gesprochen. Nie hätte Andrea über eine Hunderasse geschrieben, über die sie nicht mindestens so gut Bescheid wusste wie über Schmorbraten, Bengalische Tiger, verlorene Halbwüchsige und Gartenanlagen.»
Ja, auch die Themenvielfalt Andrea Simmens war schon in ihrem Erstling beeindruckend. Erneutes oder erstmaligen Lesen lohnt sich.*
*Dieses Extra von Tina Uhlmann, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.